„Zweiten Gesichts“: Theatermasken aus Wismar
Wismar (dpa) - Die Brauen müssen markanter ausfallen. Wie ein Bildhauer formt Lars Maué dicke Wülste über den Augenhöhlen. Nach der Tonvorlage wird der Maskenbauer später einen Holzkopf schnitzen.
Auf diesem modelliert er dann in tagelanger Filigranarbeit aus eingeweichtem elastischem Rindslenden-Leder das „zweite Gesicht“ für den traurigen Clown eines Brecht-Stückes.
Auch alle erdenklichen Tiere, Kaufleute, Räuber, Verliebte, Harlekine oder Hexen gehören zu seinem Repertoire. Denn Lars Maué fertigt in seiner Wismarer Werkstatt, die so winzig scheint wie ein Puppentheater, als einer der letzten seiner Zunft in der Bundesrepublik Theatermasken an. In keinem deutschen Handwerks- oder Künstlerverzeichnis spielt der Maskenbauer heute noch eine Rolle. Selbst der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) kennt den Beruf des Maskenbauers nicht, wie ein Sprecher bestätigt.
Maué hält den Atem an, als er vorsichtig eine getrocknete Leder-Larve - so werden die Masken auch genannt - vom hölzernen Modellgesicht abzieht. Atmungsaktive Lederfarben ersetzen das Make-up, die Maske wirke damit lebendig wie eine zweite Haut, erklärt der gelernte Schauspieler Maué. Eine Maske bilde den Auftakt zum Entwickeln einer Bühnenrolle, sie gebe den Charakter vor. „Eine Maske fokussiert wie ein Brennglas Emotionen und Körpersprache.“
Der Wismarer, der neben Schauspiel und Maskentheater auch Regie, Bühnenbildnerei und modernen Tanz studierte, kreiert seine Kostüme daher stets im regen Ideenaustausch mit Künstlern und Regisseuren. Eine Theatermaske dürfe nicht verschleiern wie beim Karneval, sagt er. Vielmehr solle sie den Charakter einer Bühnenfigur im wahrsten Wortsinn „entlarven“. So wie die Stimme den Sinn von Worten spiegele, präzisiere die Maske, was der Mime körperlich auszudrücken versuche.
Das Maskenspiel sei eine uralte Kunst, die schon von den Griechen und Römern in der Antike gepflegt wurde, sagt Maué. In Asien gehörten die Masken bis heute zu fast jeder Aufführung dazu. Sein Handwerk erlernte Maué bei Koryphäen: Von Lehrern des französischen Theatre du Soleil, dem indonesischen Tänzer Suprapto Suryodarmo und von Donato Satori, dem Sohn einer venezianischen Maskenbauerdynastie. Maué machte sich 2004 in Hamburg selbstständig und zog 2009 nach Wismar.
In Deutschland sei diese Ausdrucksform nahezu in Vergessenheit geraten. Nur experimentelle Theater ließen sich noch auf das „Versteckspiel“ ein, sagt der 47-jährige. Maué findet seine Kundschaft daher eher bei den kleinen, wenig bekannten Ensembles. Neben einem Wiener Straßentheater gehörten freie Häuser in Hamburg und Lübeck sowie ein Rostocker Alleindarsteller zu seinen Auftraggebern.
Für sein fast ausgestorbenes Handwerk sieht der Maskenbauer aber durchaus eine Zukunft: Auch große Theater müssten neue Wege einschlagen, um wieder jüngeres Publikum anzulocken. Dafür sei das Maskenspiel wie geschaffen - schließlich habe die Maskenkunst, die Jäger vor Jahrtausenden mit ihren Trophäen erfunden haben sollen, inzwischen das denkbar modernste Medium erobert: Kein Computerspiel gehe heute mehr ohne maskierte Helden über die virtuelle Bühne.