Aufführung in Duisburg Der fliegende Holländer: Ungewohnte Sichtweise auf das frühromantische Drama

Duisburg · Mehr als ein maritimes Schauermärchen: Wagners 1843 uraufgeführte Oper feierte in Duisburg eine umjubelte Premiere.

 Hans-Peter König (Daland), Liliana Nolden (Senta als Kind), Susan Maclean (Mary) und Statisten. Dahinter: James Rutherford (Der Holländer)

Hans-Peter König (Daland), Liliana Nolden (Senta als Kind), Susan Maclean (Mary) und Statisten. Dahinter: James Rutherford (Der Holländer)

Foto: Hans Jörg Michel

. Popcorn und Cola hält Senta in den Händen, als der Einlasser ihr Ticket kontrolliert. Mit Vater Daland und ihrer Familie geht das Mädchen ins Kino. Langsam füllt sich der Saal. Dann beginnt ein alter Streifen, in Schwarz-Weiß, über Sentas heißgeliebten Sagen-Helden, den „Fliegenden Holländer“. Mit grimmigem Blick und in schwerem Pelzmantel schaut er durchs Fernglas. Auf wogenden Wellen nimmt sein wankender Dreimaster direkten Kurs ins ewige Eis. „Steuermann halt die Wacht!“ ermahnt die Mannschaft eindringlich. Doch der ewige Seefahrer, der vom Schicksal verfluchte ‚Holländer‘, muss an Land. Er sucht die einzig treue Frau, um vielleicht doch noch von seinem Bannfluch erlöst zu werden.

Und Senta hofft seit ihrer Jugend, in dem Holländer ihre ganz große Liebe zu finden. Um aus ihrem tristen Alltag mit Vater und Tanten zu entkommen, flieht sie immer wieder in den Kindertraum im Kino. So startet die gleichnamige Wagner-Oper. Zumindest in der Interpretation von Vasily Barkhatov. Der renommierte 38-jährige St. Petersburger Film-, Opern- und Fernseh-Regisseur verlegt in seiner ersten Arbeit für die Deutsche Oper am Rhein Richard Wagners Frühwerk in die heutige Zeit, in der sich eine exzentrische Frau Senta ihren Jugendtraum erfüllen will. Mit allen Mitteln und in letzter Konsequenz. Eine ungewohnte, neue Sichtweise auf das frühromantische Drama, die bei der Premiere im Duisburger Opernhaus mit Jubel und Ovationen gefeiert wurde.

Letzteres sicherlich auch wegen des exzellent intonierten Opernchors und der Solisten – darunter internationale Größen wie James Rutherford in der Titelpartie, Hans Peter König als Sentas Vater Daland und Gabriela Scherer als dessen Tochter. Rutherfords gelenkiger Bassbariton meistert die sensibel nachdenklichen Passagen im Liebesduett mit Senta, wie auch die leidenschaftlich auftrumpfende Enttäuschungs-Arie im Finale. Gabriela Scherer indes hat als Senta nicht den hochdramatischen Wagner-Sopran, sondern setzt auf lyrischen Schmelz, wabert aber in den hohen Lagen und klingt nicht kraftvoll genug. Die jahrzehntelange Bayreuth-Erfahrung macht König zu einem Daland par excellence. Alles strömt und wird glaubhaft – väterliche Güte, Umsicht und Ehrgeiz. Zumal mit einer mustergültigen Diktion vorgetragen. Gefeiert wurden ebenfalls Norbert Ernst (als Sentas Verlobter Erik) und  David Fischer (als Steuermann), die strahlende Tenor-Power auf die Bühne bringen.

Duisburgs Philharmoniker unter Patrick Lange klingen zwar solide, aber streckenweise ziemlich langweilig. Spannungslos dehnt Gast-Dirigent Lange die Tempi und entfaltet kaum Wagners aufblühenden, frühromantischen Klang-Zauber. Zündende, zumindest vitale Dynamik, die für dieses Opus das Salz in der Suppe ist? Fehlanzeige. Schade, dass nicht Axel Kober – GMD in Duisburg und in der Rheinoper – am Pult steht. Der bewährte Wagner-Spezialist Kober (mehrfach in Bayreuth und Wien erprobter ‚Holländer‘-Dirigent) würde vermutlich andere Akzente setzen.

Und die szenische Umsetzung von Vasily Barkhatov? Sie beginnt vielversprechend. Doch leider bricht die dichte, düstere Atmosphäre, in der Senta in ihrer Kino-Traumwelt flieht, abrupt ab im zweiten Akt. Plötzlich findet man sich auf einem grell erleuchtenden Rummelplatz. Flimmerndes Pferdchen-Karussell, auf dem unvermittelt der ‚Holländer‘ wie eine Witzfigur auftaucht, Kebab-Bude und allerlei Kirmes-Krims-Krams. Man tummelt sich lautstark in kunterbunten Klamotten eines bekannten Billig-Anbieters. So banal soll – laut Regie-Konzept – Sentas sonstiges Leben sein. Ähnlich flach verläuft der Streit mit dem Verlobten Erik, dem Senta vor versammelter Mannschaft  den Laufpass gibt, um ihren ‚fliegenden Holländer‘ zu retten. Vermutlich will die Regie das näherbringen.

Das ist gut gemeint, passt indes kaum zu Wagners teilweise aufwühlender Musik und konterkariert den spannenden Ansatz des ersten Akts. Gottlob nimmt die Inszenierung im Finale den Kino-Faden wieder auf und lässt im Schlussbild Holländer und seine Erlöserin Senta gemeinsam auf dem Schiff ins ewige Eis ziehen. Eine sentimentale Schlussszene, beinah wie aus guter alter Hollywood-Traumfabrik-Zeit.

Termine. Duisburg 0203/2836 2100, Düsseldorf 0211/ 8925211.