Der listige Kolorist Cornelius Völker

„Über die Malerei“ nennt der Maler und Akademieprofessor seine Ausstellung in der Kunsthalle Münster.

Foto: Christoph Münstermann, Düsseldorf (c) Schirmer/Mosel, München (c) Völker VG Bild Kunst

Münster. Zwölf Jahre besteht die Kunsthalle Münster im sanierten Getreidespeicher am Dortmund-Emskanal, aber der Überblick über die jüngsten Gemälde von Cornelius Völker (52) ist erst die dritte Malereiausstellung seit Bestehen des Instituts. Der Trend der Kuratoren geht zu Installationen, Konzepten, Videos und Fotos. Völker ist eine Ausnahme in der Kunstszene. Er füllt die Halle mit feurigen Tönen. Er ist der große Farbmaler der Gegenwart. Und dazu ein Humorist, denn er verlockt mit Stoffresten, ausgequetschten Tuben oder überdimensionalen Zeitungsstapeln.

Gleich im ersten Raum räkeln sich Hälse in die Luft. Normalerweise beachtet niemand die Partie zwischen Gesicht und Oberkörper. Kein Sonnenstrahl trifft gemeinhin den Hals, der der Mode entsprechend auch noch durch trendige Schals verdeckt wird. Und nun kommt Cornelius Völker daher und seift den Hals bis unter die Ohren ein, nicht mit Schaum, sondern mit Farbe. Er habe sich mit dem Manierismus beschäftigt, wo Figuren lange, gedrehte und gewundene Hälse haben, erklärt er. Wären da nicht die roten Ohren, die wie künstliche Tomaten zu glühen scheinen. Sagt es und lacht.

Völker liebt die Dinge, um sie mit Farbkarambolagen „quietschen“ zu lassen. Da schweben Fleischbeutel in transparenten Folien durch den Farbraum, die niemals in der Suppe landen werden. Wundpflaster erheben sich wie unter Luftpolstern und tragen Perlmuttfarben wie Muscheln.

Faszinierend und abscheulich zugleich sind seine „Lachen“, bei denen der Betrachter nicht weiß, was er da vor sich hat: Kirschmarmelade auf dem Boden, ein schwimmender falscher Busen, ein Pudding mit Schmierspur? „Ich gucke mir natürlich schon an, wie die Flüssigkeit zerfließt. Ich lasse dabei bewusst offen, ob es sich um Marmelade, Blut oder Ölfarbe handelt“, sagt er.

Er bezieht sich auf Gegenstände, aber löst sie auf. Faszinierend, aber immer auch banal sind seine Motive. Was sie auszeichnet, ist ihre Sinnlichkeit, ihr Glanz, ihre Verlockung, auch ihre Parodie. Dieser Künstler ist ein Virtuose, doch ständig ist er damit beschäftigt, den optischen Glanz zu hinterfragen. „Naht“ erinnert an zwei dünne Propeller, die eine Operationswunde zusammenhalten. Blaue Fäden im roten Fleisch.

Ein Künstler, der ständig guckt. Der sich schauend vom Gegenstand in die Farbe bewegt. Seine „Reststücke“ wirken wie vom Wühltisch genommen und auf den Boden geworfen. Hätte nicht jedes dieser Stoffteile seine eigene Farbe und seinen sehr individuellen Far

bschatten. Jeder „Rest“ schwimmt in seiner Farbinsel und in deren Spiegelung.

Die Malerei der Gegenwart ist strengen Manieren unterworfen. Man malt eben keine Blumen mehr und verzichtet auf Wolken. Zu kitschig, zu romantisch. Nicht so bei Völker. „Ich habe mich jahrelang mit der Tatsache beschäftigt, dass man als Maler unmöglich Blumen malen kann, weil das Thema so ausgelutscht ist. Jetzt habe ich die Blumenvase gespiegelt und die Spiegelung der Blumen gemalt.“ Nun fallen Abstraktion und bildliche Darstellung zusammen, das Ergebnis ist geradezu duftende Malerei.

Cornelius Völker, Künstler

Das Erstaunlichste aber ist, wie hier die Malerei nichts ist als Farbe, betörende, virtuose Farbe. Sie gibt keine Weltsicht preis, sie will nicht symbolisch verstanden werden. Sie reflektiert auch keine Gefühle. Sie ist unmittelbar. Damit dies so ist, bereitet Völker in Aquarellen und Zeichnungen ein Motiv vor, mischt die Farben in seinen Töpfen, bestimmt die Gradationen und Übergänge. Und dann legt er los. Gezielt, klar durchdacht, voller Dynamik. Auf dass die Malerei Haut und Körper hat und ein sinnliches Vergnügen bereitet.

Neuerdings wagt er sich sogar an Wolkenbilder heran, die nichts mehr abbilden, die haltlos und explosiv erscheinen. Nicht grau in grau wie bei Gerhard Richter und auch nicht so verträumt wie bei William Turner. „Es war eine große Herausforderung für mich. Es gab 290 000 Gründe, um auf dem Weg dahin aufzuhören.“ Nun kommt die Farbe aus der Dunkelheit, zieht sich zusammen wie ein Wirbelwind, um zugleich aus sich herauszutreten.

Er sagt: „Alle Bilder sind in einem Rutsch gemalt. Ich könnte nie mitten im Malen aufhören und am nächsten Tag wieder angefangen.“ Möglicherweise wäre sonst die Geschwindigkeit aus den Bildern gewichen.