Applaus für zweiten deutschen Bären-Kandidaten
Berlin (dpa) - Die Deutschen verhandeln auf der 62. Berlinale Privates. In den vom internationalen Publikum mit großem Interesse aufgenommenen Festivalbeiträgen der heimischen Filmemacher geht es um Liebe, Krankheit, Misstrauen, Schuld und Einsamkeit.
Nach dem Erfolg von Christian Petzold und Nina Hoss mit dem DDR-Drama „Barbara“, startete am Dienstag auch Hans-Christian Schmid („Requiem“) mit „Was bleibt“ erfolgreich im Rennen um den Goldenen Bären. Die Zuschauer bei den Berliner Filmfestspielen (bis 19.2.) nahmen das Drama in einer ersten Pressevorstellung mit Applaus auf.
Die Theater- und Filmschauspieler Corinna Harfouch und Lars Eidinger spielen die Hauptrollen in der einfühlsam inszenierten Geschichte: In einer gut situierten, westdeutschen Familie geraten Gefühle und eingefahrene Verhaltensmuster an dem Wochenende aus dem Lot, als Mutter Gitte (Harfouch) einen sehr persönlichen Entschluss verkündet. Seit Jahren leidet sie an Depressionen und ist in ärztlicher Behandlung. Doch nun hat Gitte beschlossen, alle Medikamente abzusetzen - mit unabsehbaren Folgen.
Der aus Berlin für das Wochenende angereiste Sohn Marko (Eidinger) ist der einzige in der Familie, der Gitte in ihrer Entscheidung unterstützt. Ganz anders als Sohn Jakob - gespielt Sebastian Zimmler vom Hamburger Thalia Theater in seiner ersten Kinorolle. Finanziell ist der junge Zahnarzt von seinen Eltern abhängig, aber er fühlt sich auch für das Wohl seiner Mutter verantwortlich. Vater Günter (Ernst Stötzner), ein gerade in den Ruhestand gegangener Verleger, hat sehr eigennützige Gründe dafür, dass seine Frau in der Rolle der Patientin bleibt - denn schon lange hat er hinter dem Rücken von Gitte eine Freundin.
Es kommt zu Streit, zu lange überfälligen, aber dann doch nur angedeuteten Aussprachen und neuen Versuchen, sich voneinander abzugrenzen - bis Gitte mit dem Auto losfährt, am Waldrand hält und zwischen den Bäumen verschwindet. Eine verzweifelte Suche beginnt. Schmid, der nach „Lichter“, „Requiem“ und „Sturm“ bereits zum vierten Mal im Berlinale-Wettbewerb ist, hat ein sehr präzises Kammerspiel inszeniert. Kommunikation ist nicht die Stärke dieser Familie, deshalb wird viel geschwiegen - auch Marko erzählt zunächst nichts von seinen Problemen in Berlin.
Genau dieses Schweigen sei für den Film wichtig, sagte Schmid im dpa-Interview. „Um die kranke Mutter zu schonen, sprechen sich die anderen Familienmitglieder nicht aus. Es hat aber auch generell etwas mit der Entfernung zum Elternhaus zu tun. Das beobachten wir auch in unserem Freundes- und Bekanntenkreis, auch bei unseren eigenen Familien: man telefoniert ein Mal die Woche, aber da geht es eigentlich immer nur um Oberflächliches.“ Solche „Heimfahr-Wochenenden“, wie das von Marko, verliefen dann meistens nicht sehr harmonisch, so Schmid, „weil die Lebensentwürfe auseinandergehen, weil die eine Generation von der anderen nicht wirklich weiß, was sie beschäftigt und weil es mühsam ist, zu erklären - wie man auch an Marko im Film sieht - wo man gerade im Leben steht.“
Auch Matthias Glasner - der dritte deutsche Bären-Kandidat - macht eine Familie zum Mittelpunkt seines Films. Jürgen Vogel und Birgit Minichmayr spielen in „Gnade“ Niels und Maria - ein Paar, das mit seinem Sohn nach Norwegen ausgewandert ist. Sie arbeitet in einem Sterbehospiz, er in der Erdgas-Industrie. Als Maria eines Nachts auf der Heimfahrt einen Autounfall hat und meint, jemanden überfahren zu haben, brechen in der Familie Konflikte auf. Denn Maria hat Fahrerflucht begangen und weiß nicht, ob sie die Kraft hat, sich zu stellen. „Gnade“ startet am Donnerstag im Berlinale-Wettbewerb.
Bereits am Mittwoch feiert Doris Dörries neuer Film „Glück“ in der Special-Reihe seine Premiere. Die Liebesgeschichte entstand nach einer Kurzgeschichte des Autors und Anwalts Ferdinand von Schirach. Martina Gedeck ist in der Panorama-Reihe in „Die Wand“ nach dem Roman von Marlen Haushofer zu sehen - einem dramatischen Ein-Personen-Stück über eine Frau, die auf einer Berghütte plötzlich komplett von der Außenwelt abgeschnitten ist.
Die deutschen Regisseure machen auf der diesjährigen Berlinale eine gute Figur. Ob es für den Goldenen Bären reicht, bleibt abzuwarten. Zuletzt holte im Jahr 2004 Fatih Akin mit „Gegen die Wand“ die Trophäe ins Heimatland des Bären.