Cannes: Goldene Palme für türkischen Film

Cannes (dpa) - Seinen großen Moment nutzt der türkische Gewinner für ein politisches Statement. „Ich widme diesen Preis den türkischen Jugendlichen, die im vergangenen Jahr ihr Leben verloren haben“, sagt Regisseur Nuri Bilge Ceylan sichtlich gerührt.

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Konkreter wird er nicht, doch die Gäste der bis jetzt schon sehr emotionalen Gala halten den Atem an - ein Seitenhieb auf die Politik des umstrittenen türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan? Immerhin hat Ceylan beim Filmfest Cannes gerade den Hauptpreis Goldene Palme für sein gesellschaftskritisches Werk „Winter Sleep“ gewonnen. Darin prangert er die Handlungsunfähigkeit der Intellektuellen an.

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Der Film hatte zu den großen Favoriten des Wettbewerbs gehört. Mit 3 Stunden und 16 Minuten (!) war das Mammut-Werk von Ceylan, der in Cannes für seine früheren Werke schon mehrere Preise - aber nicht die Palme - gewann, zwar eine ziemliche Herausforderung, begeisterte aber auch mit präziser Analyse seiner Charaktere.

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Im ländlichen Kappadokien, in einer atemberaubenden Fels- und Höhlenkulisse, kreisen ein ehemaliger Theaterschauspieler und dessen kleine Familie um sich selbst. Sie philosophieren viel, über gute Taten und das moralisch richtige Verhalten. Doch mehr als Reden ist nicht drin, im Alltag versagen sie schon bei kleinsten Gesten der Hilfsbereitschaft.

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Kritische Beiträge wie dieser hatten den insgesamt sehr soliden Wettbewerb dominiert. Viele andere Filme sprachen aktuelle Missstände und Krisen wie Arbeitslosigkeit in Europa oder islamistische Rebellen in Afrika an. Da passt es dann auch, dass der zweitwichtigste Preis, der Große Preis der Jury, ebenfalls an ein solches Werk ging: Die deutsche Ko-Produktion „Le meraviglie“ über eine in einfachsten Verhältnissen auf dem Land lebende Familie. Regie führte die Italienerin Alice Rohrwacher - eine von nur zwei Frauen in der Konkurrenz um die Goldene Palme.

Nicht nur sie kämpfte auf der Bühne mit den Tränen. Timothy Spall liefen sie sogar während seiner gesamten Dankesrede über die Wangen. Er wurde für seine grunzende Darstellung des britischen Malers „Mr. Turner“ im gleichnamigen Film von Mike Leigh ausgezeichnet; bei den Frauen ging der Preis ebenfalls verdient an Hollywood-Star Julianne Moore und deren hysterische Tour de Force in „Maps to the Stars“ von David Cronenberg.

Enttäuschend war für viele Kritiker jedoch die Jury-Entscheidung für den anderen Favoriten des Festivals. Der erst 25-jährige Xavier Dolan begeisterte mit „Mommy“ und seiner mutigen und intensiv-kraftvollen Inszenierung einer Mutter-Sohn-Geschichte: Wie er mit der Größe der Leinwand spielt, wie er seine Charaktere exzessiv durchs Leben schickt. Dafür gab es am Ende dann „nur“ den Preis der Jury.

Eine der beiden großen Auszeichnungen für Dolan wäre ein deutlicheres Zeichen für junge Talente und Verjüngung gewesen. Immerhin verlässt sich das Festival seit Jahren vor allem auf seine männlichen Stammgäste, und die sind meist über 50. Die lieferten wie Mike Leigh, David Cronenberg und die Dardenne-Brüder zwar auch wieder starke Beiträge ab. Und doch muss Cannes aufpassen, dass es die Stimmen des Kinos von morgen nicht ignoriert.

Dolan selbst ließ sich seine Freude aber nicht nehmen. Unter Tränen dankte er der Juryvorsitzenden, der neuseeländischen Regisseurin Jane Campion. Ihr Oscar-prämierter Film „Das Piano“ habe ihn inspiriert und seine Karriere entscheidend beeinflusst. „Ich glaube, alles ist möglich“, sagte Dolan, „wenn man liebt, sich etwas traut, arbeitet und niemals aufgibt.“