„Carlos“ und die Suche nach dem Produzenten-Glück
Berlin (dpa) - Von Hollywood in die Pleite und wieder zurück: Wenige Tage nachdem sie für „Carlos - Der Schakal“ in Los Angeles einen Golden Globe bekamen, standen die Filmproduzenten Judy Tossell und Jens Meurer vor dem Insolvenzrichter in Berlin-Charlottenburg.
Das war im Januar 2011.
Zwar hat der Insolvenzverwalter noch einige Wochen im Büro in Berlin das letzte Wort - die Produktionsfirma Egoli Tossell wagt schon jetzt den Neuanfang. In dieser Woche ist Drehbeginn für die britisch-deutsche Koproduktion „Song for Marion“ mit Vanessa Redgrave und Terence Stamp, im Winter soll die erste Klappe für die Familien-Komödie „Lexi“ mit Heike Makatsch fallen.
Innerhalb von zwanzig Jahren haben Tossell und Meurer rund 70 Filme gedreht, etwa „Der russische Sommer“ über den Schriftsteller Leo Tolstoi mit Helen Mirren und Christopher Plummer, den Knef-Film „Hilde“ mit Heike Makatsch und den Spielfilm „Russian Ark“, ein 90 Minuten langer Spaziergang durch die Eremitage in St. Petersburg ohne Schnitte.
Obwohl von der Kritik hochgelobt, brachte „Carlos“ über den Terroristen Ilich Ramírez Sánchez den Produzenten kein Geld. Zum Verhängnis wurde Jens Meurer (48) und Judy Tossell (45) der Ausstieg eines ausländischen Produktionspartners sowie die teure Finanzierung anderer Filme. „2010 war ein Horror-Jahr“, sagt Jens Meurer. Dem Paar fehlte die betriebswirtschaftliche Basis, um in der Krise zu bestehen. „Wir haben uns unter anderem von den Banken unter Druck setzen lassen. Das würde uns heute nicht mehr passieren.“
Dass das Politdrama jetzt auch noch für zwei Emmy-Preise nominiert wurde, nämlich für Regisseur Olivier Assayas und Hauptdarsteller Edgar Ramírez, bestärkt Meurer und Tossell darin, auf ihrem Weg weiterzumachen.
Meurer, der in Südafrika aufgewachsen ist und dort zunächst Zeitungsreporter war, wollte immer nur Filme drehen - das Produzenten-Handwerk erlernte er nebenbei. Die in England geborene Tossell kam 1989 nach Berlin, um Deutsch zu lernen. Sie lernten sich bereits 1984 in England während des Studiums kennen. Sie gründete ihre Firma Tossell Pictures 1996, die dann 2001 mit Meurers Firma Egoli Film fusionierte.
Bei der deutschen Filmfinanzierung mit dutzenden Fördertöpfen, einem komplizierten Steuersystem, teilweise überzogenen Kreditzinsen und hohen Vertriebskosten „waren wir am Ende der Nahrungskette“, sagt Tossell. Wie auch andere unabhängige Produzenten leidet Egoli Tossell unter dem rückläufigen Engagement der öffentlich-rechtlichen Anstalten beim Kinofilm.
Mit ihrem offenen Umgang mit der Pleite brechen die beiden Produzenten ein Tabu in einer Branche, „die so stark auf den guten Namen baut“, sagt Tossell. Doch damit wurde erst die Rettung für die Firma möglich, die zurzeit 13 Mitarbeiter beschäftigt.
Mit Film House Germany soll nun nach der Sanierung der Firma eine Frankfurter Investmentgruppe mit einem finanzstarken Portfolio als Mehrheitsgesellschafter einsteigen. Weil Egoli Tossell mit internationalen Koproduktionen auf das Ausland ausgerichtet ist und nicht vom deutschen Markt abhängig ist, seien sie für weltweit aktive Investoren attraktiv, sagt Meurer.
Große Hoffnung setzen sie in den fast fertigen Film „Play Off“ über den Israeli Ralph Klein. Der Basketball-Coach, ein Holocaust-Überlebender, trainierte Anfang der 80er Jahre die bundesdeutsche Mannschaft und schaffte mit ihr die Olympia-Qualifikation für Los Angeles 1984. Noch in diesem Jahr sollen die Vorbereitungen für die Verfilmung des französischen Bestsellers „Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück“ beginnen. In Planung sind unter anderem eine Neuverfilmung des englischen Ritterromans „Ivanhoe“ sowie ein Film über Charles Dickens, zu der Zeit, als er seine Weihnachtsgeschichte schrieb.
Die kommenden Monate werden für das Produzenten-Paar, das drei Kinder hat, entscheidend sein. Sie sind mit „Haut und Haaren“ in der Firma engagiert. „Und ein Ferienhaus in Südfrankreich haben wir auch nicht.“