Claude Lanzmann: „Ich bin kein Dokumentarfilmer“

Berlin (dpa) - Der französisch-jüdische Filmemacher Claude Lanzmann („Shoah“) wird bei der Berlinale mit dem Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa sagt der 87-Jährige, was ihm der Preis bedeutet. Und überrascht mit der Einschätzung, kein Dokumentarfilmer zu sein.

Was heißt es für Sie, gerade in Deutschland geehrt zu werden?

Lanzmann: „Ich bin sehr bewegt, sehr glücklich und sehr stolz. Mich freut es besonders, den Preis in Berlin zu bekommen, weil ich eine sehr enge und besondere Beziehung zu der Stadt habe. Ich habe zwei Jahre hier gelebt, die Zeit der Luftbrücke erlebt, Berlin in Schutt und Asche gesehen. Und deshalb ist sehr schön, hier ausgezeichnet zu werden.“

Sie haben am Mittwoch Ihr Hauptwerk „Shoah“ über den NS-Völkermord an den europäischen Juden in einer neuen, digitalen Fassung vorgestellt. Wie waren die Reaktionen?

Lanzmann: „Ich brauche keine Reaktionen, das kann ich schon selbst beurteilen. Es ist ein sehr schöner Film, aber es ist derselbe wie 1985. Als ich an "Shoah" arbeitete, habe ich gedacht, der Film könnte eine Befreiung für die Deutschen sein, er könnte ihnen helfen, sich ihrer eigenen Geschichte zu stellen.“

Meinen Sie, das ist gelungen?

Lanzmann: „Ich denke ja. Der beste Beweis ist doch, dass zur Verleihung des Ehrenbären mein Film „Sobibor. 14. Oktober 1943, 16 Uhr“ läuft. Der Film erzählt von einer erfolgreichen Revolte jüdischer Gefangener in einem Vernichtungslager der Nazis in Polen. Das heißt, sie zeigen einen Film, in dem Juden Deutsche töten ...“

... was Sie ja auch gemacht haben, oder?

Lanzmann: “Ja, während des Krieges. Ich gehörte zum Widerstand, als die Wehrmacht in Frankreich einmarschierte... Dass Deutsche diesen Film zeigen, hat Klasse, hat Stil. Ich empfinde das als brüderliche Geste, wir sind quitt.“

Das Simon-Wiesenthal-Zentrum hat den Journalisten Jakob Augstein wegen seiner Israel-Kritik auf die Liste der weltschlimmsten Antisemiten gesetzt. Dürfen Deutsche Kritik an Israel üben?

Lanzmann: „So eine Liste finde ich ein bisschen lächerlich. Das ist nicht meine Art zu denken. Aber was die Haltung zu Israel angeht: Natürlich kann man niemandem Kritik verbieten. Aber die Deutschen tun das weniger als andere, sie mischen sich nicht so sehr ein. Insofern benehmen sie sich gegenüber Israel besser als viele Franzosen.“

Sie arbeiten gerade an einem neuen Dokumentarfilm über einen jüdischen Gemeindevorsteher in Theresienstadt. Können Sie etwas darüber erzählen?

Lanzmann: „Meine Filme sind keine Dokumentar-Soaps. Ich will das nicht mehr hören! Ich hasse diesen platten Gegensatz zwischen Dokumentation und Fiktion. Bei einem Dokumentarfilm zeigt man das, was es gibt oder was es vorher schon gab. Meine Filme sind etwas anderes. "Shoah“ ist ein Film, der gegen seine eigene Unmöglichkeit entstand. Es gibt keine einzige Leiche, keine Knochenberge. Wir mussten alles neu erfinden. Ein Freund hat einmal zu mir gesagt: Wenn das Kino die siebte Kunstform ist, dann ist "Shoah" die achte. Das stimmt.“

Gespräch: Nada Weigelt, dpa