Cloud Atlas: Ringen um den Sinn des Lebens
Tom Tykwers „Cloud Atlas“ ist eine ebenso komplexe wie überwältigende Filmerzählung.
Düsseldorf. Der fast 700 Seiten starke Kultroman „Wolkenatlas“ von David Mitchell gehörte in die Kategorie „besonders unverfilmbar“, und die Leinwandversion von Tom Tykwer und den Geschwistern Wachowski präsentiert sich mit 172 Filmminuten als komplexes Kinoepos. Mit Produktionskosten von 100 Millionen Dollar und einer hochkarätigen Besetzung von Tom Hanks über Halle Berry bis zu Hugh Grant und Susan Sarandon schielt es nach dem ganz großen Weltkinopublikum.
Bis zu sechs Rollen spielt jeder Hauptdarsteller, denn erzählt wird auf sechs Zeitebenen, die parallel geführt werden.
Auf einem Segelschiff im Pazifik kreuzen sich 1849 die Wege eines britischen Kaufmanns und eines entflohenen Sklaven. Ein erfolgreicher Komponist und ein Nachwuchsmusiker ringen 1936 um eine bahnbrechende Symphonie. Eine Journalistin ist im San Francisco der 70er den Machenschaften eines Atomenergiekonzerns auf der Spur.
Im London von heute gerät ein Verleger in einen Strudel komischer Ereignisse. Im Neo-Seoul des Jahres 2144 wird eine geklonte Frau zur Symbolfigur eines revolutionären Aufstandes, und in einer postapokalyptischen Zukunft im 24. Jahrhundert herrschen blutige Stammeskriege.
Die verschiedenen Erzählebenen durchdringen einander nicht nur thematisch, sondern auch personell. Tom Hanks ist mal als zwielichtiger Schiffsarzt mit Überbiss, selbstkritischer Nuklearforscher mit 70er-Jahre-Brille, wutentbrannter Romanautor, der in der besten Szene des Filmes einen Literaturkritiker von der Hochhausterrasse wirft.
Die Verfremdung der Schauspielergesichter durch vehementen Latexeinsatz ist Teil des künstlerischen Konzepts. Schließlich geht es in „Cloud Atlas“ um die Transzendenz von Zeit und Raum, um einen Film gewordenen Schmetterlingseffekt, in dem sich die Handlungen der Menschen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durchdringen.
Mit einer hochdynamischen Schnittkomposition setzt der Film einen Mahlstrom der Ereignisse in Gang, in dem nicht nur die Zeitebenen, sondern vom Historienepos über die Komödie bis zum Science-Fiction- und Horrorfilm auch die Genres immer wieder neu übereinandergeschichtet werden.
„Unser Leben gehört uns nicht allein“ lautet die unüberhörbare Botschaft des Filmes, der die Konsequenzen menschlichen Handelns über die eigene Existenz hinaus beschwört. Gelungen sind dabei vor allem die klassische Politthriller-Episode der 70er Jahre und das Science-Fiction-Setting, in dem die Revolution gegen die genmanipulierte Zweiklassengesellschaft entfacht wird. Hier können die Wachowskis bei der digitalen Bildkomposition auf ihre „Matrix“-Erfahrungen zurückgreifen können.
Die Frage, ob aus dem Strom der Bilder, Epochen und Genres ein sinnstiftendes Ganzes entsteht, muss mit einem entschiedenen „Jein“ beantwortet werden. „Cloud Atlas“ überrollt sein Publikum förmlich mit seiner erzählerischen und visuellen Ambition.
Aber im Gegensatz zu vielen anderen Filmen ist „Cloud Atlas“ ein Werk, in dem es nach dem ersten Staunen inhaltlich und ästhetisch noch viel zu entdecken gibt, ein Rausch der Bilder, Emotionen und philosophischen Exkurse, der über die Ernüchterung hinaus wirkt. Ein Film, auf dessen Wucht man sich einlassen muss, um seine Qualitäten zu erkennen.