Favoriten in Cannes

Cannes (dpa) - Der Skandal um Lars von Triers Äußerungen zu Hitler und Nazis überschattete die letzten Tage des Festivals in Cannes. Und doch hatte das Filmfest an der Côte d'Azur seit seinem Start einiges mehr zu bieten.

Hollywood-Prominenz wie Angelina Jolie, Brad Pitt, Penélope Cruz und Johnny Depp sorgte für jede Menge Glamour. Der Wettbewerb glänzte in diesem Jahr wie lange nicht. Die Konkurrenz um die Goldene Palme, die am Sonntagabend verliehen wird, ist also spannend.

Bei den internationalen Kritikern stehen vor allem zwei Filme hoch oben auf den Favoritenlisten: „The Kid with a Bike“ der belgischen Dardenne-Brüder und „Le Havre“ des Finnen Aki Kaurismäki. Die Regisseure sind keine Unbekannten in Cannes, viele ihrer Filme liefen bereits im Festivalpalast, für einige gab es auch schon Preise. Beide Werke erfüllten die Erwartungen und überraschten trotz aller Sozialkritik dennoch durch ihren Optimismus - Kino, das die Zuschauer auf eine bessere Welt hoffen lässt.

In Kaurismäkis „Le Havre“ hilft ein Schuhputzer einem jungen Flüchtling aus Afrika, bekommt dabei Hilfe von Freunden, und seine Frau besiegt fast nebenbei noch ihre schwere Krankheit. „The Kid with a Bike“ erzählt ebenfalls eine Art modernes Märchen, findet ein von seinem Vater verstoßener Junge doch Liebe und Verständnis bei seiner Ersatz-Mutter, einer Friseurin, die gegen alle Widerstände zu ihrem Schützling hält.

Die jungen Darsteller waren es dann auch, die bei dieser 64. Festivalausgabe einen starken Eindruck hinterließen. Wie ängstlich, schüchtern, forsch und selbstbewusst der „Junge mit dem Fahrrad“ spielte, beeindruckte viele. Auch der Österreicher David Rauchenberger verkörperte seine Rolle als zehnjähriger „Michael“ im Debüt von Markus Schleinzer einprägsam - als Junge, der von einem Pädophilen in den Keller gesperrt und missbraucht wird.

Die Bilder des jungen, verschlossenen Amokläufers aus „We Need to Talk About Kevin“ der Britin Lynne Ramsay blieben ebenfalls länger haften. Auch Tilda Swinton überzeugte als Kevins Mutter. Wie sie die verzweifelte Frau zwischen Selbsthass, Unsicherheit und Opferrolle spielt, war oft abstoßend, aber gerade deswegen grandios. Und Kirsten Dunst, bisher vor allem als „Spiderman“-Freundin aufgefallen, bewies als depressive Braut in Lars von Triers „Melancholia“ ähnlich bemerkenswerte Kraft und Leinwandpräsenz.

Andere gute Frauenrollen gab es dagegen deutlich weniger. Entweder kamen gar keine Frauen vor - wie im Papstfilm „Habemus Papam“ - oder sie durften nur mit ihren weiblichen Reizen spielen wie in dem Bordell-Historiendrama „House of Tolerance“.

Dann gab es da noch die Werke, die gänzlich aus dem Rahmen fielen, und eben wegen ihrer eigenen Handschrift ebenfalls aussichtsreiche Kandidaten auf einen Preis sein könnten: Lars von Triers „Melancholia“ etwa. Das düstere Apokalypsen-Szenario bietet überwältigende Bilder - ebenso wie Terrence Malicks „The Tree of Live“ mit Brad Pitt und Sean Penn: Ein Familiendrama und eine philosophische Suche nach dem Sinn des Lebens, verwoben mit atemberaubenden Naturaufnahmen zur Schöpfung der Erde. Das wurde von den Kritikern entweder geliebt oder gehasst.

Fast einhellig positiv fiel dagegen das Urteil zu „The Artist“ des Franzosen Michel Hazanavicius aus. Der Stummfilm in Schwarz-Weiß begeisterte durch seinen Witz und als große Hommage an das Kino. Es könnte es im Jahr 2011 keinen ausgefalleneren Preisträger als diesen geben.