Film: Die Vermessung der Welt
Detlev Buck verfilmt Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ — und verhebt sich.
Düsseldorf. Der eine bezieht Prügel auf sein nacktes Hinterteil, weil seine genialen Antworten Mitschüler und den Lehrer der Armenschule provozieren. Der andere fängt Frösche im elterlichen Park und büffelt Latein im Schloss, während seine Mutter unter ihrer riesigen weißen Rokokoperücke lauscht.
Auch später wird der eine sein Dasein in kargen Stuben fristen, während der andere in den Urwäldern Südamerikas nach Vulkanen und Flüssen sucht. Doch eines haben Mathematiker Carl Friedrich Gauß und Naturforscher Alexander von Humboldt gemeinsam: Beide sind Ausnahme-Wissenschaftler von unstillbarem Erkenntnisdrang, der sie als Privatpersonen oft neben die Spur geraten lässt.
In üppigen 3-D-Bildern, die wie gigantisches, altmodisches Puppentheater wirken und die er gern noch mit bombastischen Klängen überhöht, hat Regisseur, Co-Autor und Co-Produzent Detlev Buck („Karniggels“, „Rubbeldiekatz“) „Die Vermessung der Welt“ auf die Leinwand gehoben.
Jene fiktive Doppelbiografie der beiden deutschen Forscher, mit der Daniel Kehlmann 2005 einen Sensationserfolg errungen hat. Monatelang stand das Werk auf den Bestsellerlisten. Die „New York Times“ stellte es an Platz zwei der 2006 am meisten verkauften Bücher. Allein im deutschsprachigen Raum wurden zwei Millionen Exemplare der burlesken Geschichte verkauft.
Augenscheinlich haben Inhalt und Erfolg des Romans den sonst norddeutsch-bodenständigen Buck (49) veranlasst, einen Film zu drehen, der eine andere Dimension anstrebt — ein Spektakel à la Hollywood. So engagierte er nicht nur profilierte Darsteller wie Albrecht Abraham Schuch (Humboldt), Florian David Fitz (Gauß), Sunnyi Melles (Mutter Humboldt), Katharina Thalbach (Mutter Gauß), Vicky Krieps (Johanna Gauß) und Michael Maertens (Herzog von Braunschweig).
Für die entsprechende Bildgestaltung verpflichtete er seinen alten „Männerpension“-Kameramann Slawomir Idziak. Der hat inzwischen international Karriere gemacht („Harry Potter und der Orden des Phönix“) und beschäftigt sich zwei Jahren ausschließlich mit 3D.
Der Roman galt vor allem deshalb als unverfilmbar, weil er ohne direkte Rede verfasst ist. Autor Kehlmann selbst die Dialoge fürs Drehbuch und legte den Schwerpunkt auf die Jugend der Koryphäen Gauß und Humboldt.
Gedreht wurde bei einem Etat von übersichtlichen 10,5 Millionen Euro in nur 31 Tagen unter anderem im historischen Görlitz und in Ecuador. Dort hatte Humboldt mit seinem Assistenten Aimé Bonpland (Jérémy Kapone) einst den Vulkan Chimborazo erklommen.
Herausgekommen bei alldem ist eine effektbewusste Abenteuer-Komödie, die in vordergründiger Exotik schwelgt. Prächtige Kostüme, ausgesuchte Kulissen, immer wieder der Urwald mit seinen gefährlichen Schlangen, mit „Humboldt-Äffchen“, Kannibalen und spanischen Sklavenhändlern suggerieren die Attraktion ferner Welten.
Doch bleibt es bei Oberflächenreizen. Zu wirklichem satirischen Charme schwingt sich der Film kaum auf. Trotz interessanter Schauspieler geht die menschliche Seite der Helden nicht unter die Haut. Fitz gibt seinen Gauß durchgängig als missgelauntes Genie, das darunter leidet, von seiner Umgebung nicht verstanden zu werden.
Schuchs Humboldt ist ein Idealist, der sich für die Sklavenbefreiung einsetzt, aber seine Homosexualität in preußischem Arbeitsethos sublimiert. Solche Ambivalenzen hätte man gern subtiler ausgelotet. Doch bei viel Aufwand in 3D lässt Buck wenig Platz für die Feinheiten der Seele. Einer der wichtigsten Romane der jüngeren deutschsprachigen Literatur hätte Besseres verdient.