Film-Dokumentation zu den Proben von Pina Bauschs "Kontakthof": Jugendliche Tanzträume
Anne Linsel hat eine Dokumentation zu den Proben von Pina Bauschs „Kontakthof“ gedreht, die am Donnerstag in den Kinos startet.
Wuppertal. Der Traum vom Tanzen auf einer Bühne erfüllte sich für 40 Wuppertaler Schüler. Sie durften 2008 Pina Bauschs Stück "Kontakthof" einstudieren und es als Auftakt des Tanzfestivals NRW zeigen. Nun kommt der Film "Tanzträume" von Anne Linsel (Buch und Regie) und Rainer Hoffmann (Kamera) in die Kinos. Die Wuppertalerin hat die Proben in der Lichtburg, der Probenstätte des Tanztheaters in Barmen, begleitet. Herausgekommen ist ein unterhaltsames und anrührendes Protokoll einer Selbsterkundung und gleichzeitig eine Hommage an Pina Bausch. Denn der Film zeigt die letzten Aufnahmen der großen Choreografin, die vergangenes Jahr so plötzlich verstorben ist.
Die Jugendlichen stammen aus unterschiedlichen Schulen und mussten sich während der Proben erst kennenlernen. Linsel beobachtet mit der Kamera den Prozess, zeigt, wie sich die Jugendlichen langsam dem ungewöhnlichen Experiment öffnen. Zentrale Rollen nehmen dabei die Probenleiterinnen Jo Ann Endicott und Bénédicte Billiet ein, die geduldig, aber bestimmt die Jugendlichen anleiten. "Geh aus Dir raus, seh’ es als Chance. Wo kannst Du das nochmal in Deinem Leben erleben?", fragt Endicott das Mädchen, das für die Hauptrolle vorgesehen ist. Nicht nur zwischen den beiden wird sich Vertrauen entwickeln, das wichtig ist, damit die Jugendlichen Angst und Scham ablegen.
Denn das Stück verlangt einiges von ihnen: Sie müssen sich anderen nähern, Gewalt und Zärtlichkeiten zulassen. Ein Junge soll sich ausziehen, und man sieht ihm an, wie sehr er über seinen Schatten springen muss. Der Film vermittelt den Spaß dieser Proben, aber auch die ungeheure Disziplin, die nötig ist, um so ein Projekt zu stemmen.
Einige der Jugendlichen stehen im Fokus der Dokumentation. Mit ihnen führt Linsel Gespräche, lässt sie über Ängste, Verluste und Träume sprechen. Immer wieder schafft sie so eindrückliche Momente, wenn die Jugendlichen einfach drauflos plaudern, dann aber wieder ganz reflektiert und bei sich sind.
Ein Mädchen berichtet vom Tod des Vaters, ein anderes, wie es mit seiner Familie aus Bosnien fliehen musste. In den Gesprächen wird deutlich: Die Jugendlichen machen eine Entwicklung durch, die sie prägen wird. "Ich stehe jetzt überall eins im Mündlichen", berichtet ein Darsteller. Ein Mädchen sagt: "Ich bin viel selbstbewusster geworden", ein anderer Junge ist "voll stolz" auf sich.
Dann kommt Pina ins Spiel. Die Nervosität und Anspannung, wenn die Choreografin kritisch die Proben begleitet, ist bei allen zu spüren: "Wenn sie mit ihrem Pokerface und der Zigarette da sitzt, kriegst Du es an den Nerven", sagt ein Jugendlicher. Pina Bausch beteuert: "Keine Angst, ich beiße nicht." Hinterher sagen die Darsteller: "Pina Bausch ist voll nett".
Das "als letztes Interview mit Pina Bausch" angekündigte Gespräch fällt leider etwas kurz aus. Die Choreografin sieht angestrengt aus. Ein schmerzhafter Anblick, war sie doch vermutlich zu Zeiten der Dreharbeiten schon sehr krank. Etwas über ein halbes Jahr später ist sie gestorben. Ihr Werk wird weiterleben, das zeigt nicht nur der "Kontakthof für Jugendliche", ein Stück von 1978, das trotzdem frisch und aktuell wirkt wie nie.
Die Doku "Tanzträume" stimmt wehmütig. Nicht nur durch das Wiedersehen mit Pina Bausch, sondern auch wegen des von der Schließung bedrohten Schauspielhauses: Man sieht das architektonische Juwel und Herz der Wuppertaler Kultur noch einmal quirlig, voller Leben. Das soll nun ein Ende haben? Ein unerträglicher Gedanke.