Heimat zwischen allen Stühlen
Nesrin und Yasemin Samdereli erzählen witzig und warmherzig, wie sich Familie Yilmaz in Deutschland zurechtfindet.
Armando Rodrigues de Sà hieß der Mann, der 1964 als der einmillionste Gastarbeiter in Deutschland feierlich empfangen wurde. Unter dem Blitzlichtgewitter der Presse nahm der Portugiese ein Moped entgegen.
Für ihren Film „Almanya — Willkommen in Deutschland“ greifen die Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli, die auch schon an einzelnen Folgen des ARD-Serienhits „Türkisch für Anfänger“ mitschrieben, diese drollige Fußnote der deutschen Nachkriegsgeschichte auf. Ihre Hauptfigur Hüseyin Yilmaz lässt Rodrigues in der Warteschlange vor. Er ärgert sich: Ein Moped wäre zum Start in ein fremdes Land nicht schlecht gewesen.
Anekdoten wie diese lassen eine Geschichte lebendig werden. Die Geschwister Samdereli zelebrieren mit ihrer leichtfüßigen, warmherzigen Familienchronik Erzählkino in seiner ursprünglichsten Form.
Wie am Lagerfeuer wird der Werdegang der türkischen Familie Yilmaz rekapituliert, mit all den Übertreibungen und Ausschmückungen, die sich in einer über Jahrzehnte überlieferten Geschichte anhäufen: Hüseyins allmähliche Entfremdung von der Heimat, die Übersiedlung der gesamten Familie nach Deutschland, die erste Begegnung seiner Frau Fatma mit einer Toilette („Darauf setzen sich die Deutschen?“) oder auch das improvisierte Weihnachtsfest, das die Eltern Yilmaz auf Wunsch ihrer Kinder ausrichten.
Als Erzählerin fungiert Canan (Aylin Tezel), Hüseyins älteste Enkelin. Sie will ihrem Cousin Cenk erklären, woher seine Familie stammt, weil der Sechsjährige verwirrt ist. In der Schule bleibt er als Sohn eines Türken und einer Deutschen bei der Wahl der Fußballteams immer buchstäblich zwischen den Stühlen sitzen. Diese Art der Identitätskrise zieht sich durch die gesamte Familie Yilmaz wie ein Haarriss.
Cenks Vater Ali (Denis Moschitto) etwa, der erst in Deutschland auf die Welt kam, wird von seinen Geschwistern aufgezogen, weil er nur gebrochen Türkisch spricht. Und Hüseyin (Vedat Erincin, er stammt wie Lilay Huser aus Wuppertal) möchte im Alter plötzlich ein Feriendomizil in der Heimat, obwohl er immer dachte, er sei in Deutschland glücklich. Die gemeinsame Reise der Sippe zu dem Haus in der Türkei wird zum Selbstfindungstrip, der das innerfamiliäre Gefüge neu ordnet und stärkt.
Wie immer, wenn ein Film die als Klischee formulierten Eigenheiten unterschiedlicher Nationalitäten aufeinanderprallen lässt, ist der Grat schmal. Die Samderelis meistern den Balanceakt spielend. So wirkt „Almanya“ selbst dann authentisch und sympathisch, wenn er in folkloristischen Klamauk entgleitet. Ein Film wie die „Sch’tis“ — kurzweilig, skurril, menschlich. Und eine treffende Antwort auf die wieder aufkeimende Frage, was zu Deutschland gehört und was nicht.