Hugo Cabret: Wer hat an der Uhr gedreht?
Martin Scorsese überzeugt in dem Paris-Märchen „Hugo Cabret“ mit kreativer 3D-Technik.
Überraschung: Martin Scorsese, der sich mit blutigen Filmen wie „Taxi Driver“, „Raging Bull“ oder „Good Fellas“ auf der Kinoleinwand verewigt hat, wendet sich der Familienunterhaltung in 3D zu. In seinem jüngsten Werk „Hugo Cabret“ stehen einmal nicht Killer und Mafiosi im Mittelpunkt, sondern ein kleiner Junge. Neben dessen märchenhaften Erlebnissen gibt Scorsese aber auch eine Liebeserklärung an das Kino und dessen Pioniere ab. Mit elf Nominierungen geht der Film ins Oscar-Rennen am 26. Februar.
Mit modernster Unterhaltungstechnik verneigt sich der Filmarchivar Scorsese vor den Gründervätern des Mediums. Die Verfilmung von Brian Selznicks Kinderbuch spielt im Paris des Jahres 1931 auf dem Bahnhof Montparnasse, wo der zehnjährige Waisenjunge Hugo Cabret (Asa Butterfield) lebt.
Sein versoffener Onkel hat ihn mit der Wartung der Bahnhofsuhren betraut und ist danach verschwunden. Seitdem zieht der Junge Tag für Tag die Uhrwerke auf und stiehlt sich, was er zum Leben braucht. In einer rasanten 3D-Fahrt folgt die Kamera zu Beginn Hugo durch die geheimen Gänge des Bahnhofs, überfliegt die Menschenmassen, die sich durch die Hallen drängen, und das Häusermeer der Stadt. Mit Uhren kennt Hugo sich aus. Sein früh verstorbener Vater (Jude Law) war Uhrmacher und hat ihm einen Maschinenmann hinterlassen, dessen komplizierte Mechanik Hugo seit Jahren in Gang zu setzen versucht.
Im Bahnhof lernt der Junge Isabelle (Chloë Grace Moretz) kennen, deren Stiefvater Monsieur Georges (Ben Kingsley) dort einen kleinen Spielzeugladen hat. An einer Kette trägt das kecke Mädchen einen herzförmigen Schlüssel, der genau in das Uhrwerk von Hugos Maschinenmann zu passen scheint.
Für die beiden Kinder beginnt eine mysteriöse Entdeckungsreise, die sie in die Vergangenheit des verbitterten Spielzeughändlers führt, der einmal ein eigenes Filmstudio besessen hat und hinter dem sich der Filmpionier Georges Méliès verbirgt, der zwischen 1896 und 1912 mehr als 500 Filme drehte.
Die Verbindung zwischen Kinderabenteuer und Filmgeschichtsstunde funktioniert in „Hugo Cabret“ genauso gut wie die Melange von Nostalgie und moderner 3D-Technik. Seit „Avatar“ wurden viele Filme dreidimensional nach- und hochgerüstet, aber kaum einer setzt die Technik so kreativ ein wie Scorsese: von der wilden Fahrt durch die geheimen Gänge über einen in den Bahnhof hineinrasenden Zug bis zu Dampfwolken, die in den Kinosaal wabern. Dem gegenüber stehen restaurierte Originalfilmausschnitte von Méliès, die gemütlich ratternd in die Gründerzeit des Kinos führen.
Über die 126 Minuten Laufzeit entwickelt die Geschichte zwar einige Längen, aber die visuellen Reize dieses meisterlichen, jedoch nicht protzigen Bilderrausches gleichen die gelegentlichen dramaturgischen Schwächen mühelos aus. Wie Méliès vor mehr als 100 Jahren betreibt Scorsese das Kino als Illusionsmaschine, die ihr Publikum nicht nur unterhalten, sondern staunen lassen will.