In Locarno ist das Publikum der große Gewinner
Locarno (dpa) - Bangen am Lago Maggiore: Nachdem die 69. Ausgabe des Internationalen Filmfestivals Locarno (3.-13.8.) nur selten mit Unwettern konkurrieren musste, drohen ausgerechnet zum Finale Gewitter.
Viele Gebete gehen an die Madonna del Sasso, die Schutzheilige des idyllischen Ortes.
Tausende Filmfans aus aller Welt hoffen, dass die festliche Preisverleihung am Samstagabend auf der Piazza Grande, dem pittoresken Marktplatz, bei schönem Wetter stattfinden kann.
Deutsche Produzenten sehen dem Festivalabschluss unterm Sternenzelt besonders gespannt entgegen. Denn zwei der von Geldgebern aus Deutschland realisierten oder in internationalen Gemeinschaftsproduktionen mitfinanzierten Filme sind gut im Rennen. Im „Concorso Internazionale“, dem zentralen Wettbewerb mit 17 Beiträgen aus aller Welt, werden die rumänisch-deutsche Produktion „Vernarbte Herzen“ vom Rumänen Radu Jude, ein mit Poesie und politischer Brisanz beeindruckendes Künstlerporträt, und die deutsch-schweizerische Produktion „Marija“ des Schweizers Michael Koch hoch gehandelt.
Das in Dortmund spielende Sozialdrama „Marija“ um eine junge Immigrantin aus der Ukraine steht auch auf einer anderen Liste ganz oben: auf der für die Auszeichnung der besten Schauspielerin. Die durch die Berliner Volksbühne bekannte Margarita Breitkreiz beeindruckt in der Titelrolle mit einer ausgefeilten Charakterstudie. Ihre stärkste Konkurrentin ist die Bulgarin Irena Ivanova als Altenpflegerin im düsteren Krimi „Godless“ („Gottlos“). Als besten Schauspieler sehen viele den Bulgaren Stefan Denolyubov, Hauptdarsteller des Gesellschaftspanoramas „Slava“ („Glory“).
„Der traumhafte Weg“, der mit großer Neugier erwartete neue Film der deutschen Regisseurin Angela Schanelec, einer der wichtigen Vertreterinnen der so genannten „Berliner Schule“, hat nach Meinung der meisten Festivalbesucher jedoch nur Außenseiterchancen. Die sperrige Erzählung zum Thema Einsamkeit und die spröde Gestaltung haben viele Zuschauer irritiert. Gut möglich aber, dass der Jury gerade die ungewöhnliche Stilistik des Films gefällt.
Den Publikumspreis, ausgewählt aus den außerhalb der Leoparden-Konkurrenz open air auf der Piazza Grande gezeigten Filmen, gewinnt meist traditionell Erzähltes, dabei inhaltlich Gewichtiges. Im Vorjahr bekam „Der Staat gegen Fritz Bauer“ die Ehrung. Dieses Jahr könnte sie wieder nach Deutschland gehen. „Paula“ (Regie: Christian Schwochow) und Maria Schraders „Vor der Morgenröte“ dürfen hoffen. Doch es stehen außerdem herausragende Filme aus den USA, Frankreich und Mosambik zur Wahl.
Auch für den Goldenen Leoparden, den Hauptpreis des neben Berlin, Cannes und Venedig wichtigsten europäischen Filmfestivals, gibt es viele Kandidaten. Jeweils zwei Filme aus Bulgarien („Glory“/ „Gottlos“) und aus Portugal („Korrespondenzen“/ „Der Ornithologe“), einer aus Österreich („Mister Universo“), aus Polen („Die letzte Familie“) und aus Ägypten („Bäche, Wiesen und schöne Gesichter“) haben ebenfalls Chancen. Die Spekulationen in Hotels, Pensionen und Zelten schießen ins Kraut. Ein Gewinner steht schon jetzt fest: das Publikum. Ihm wurde dieses Jahr in Locarno ein überaus inhaltsreiches Festival geboten.