Kinostart: ,,Anonyma" - Der Krieg gegen die Frauen

„Anonyma“ ist eine persönliche Erinnerung an die Vergewaltigungen durch die Russen im besetzten Berlin.

Düsseldorf. "Wie oft?" Die Frage stellen sich die Frauen gegenseitig. Sie wissen genau, was gemeint ist: die Zahl der Vergewaltigungen, die sie durch die Besatzer der Roten Armee tagtäglich erleiden müssen. "Anonyma" schildert diese Frauenschicksale im besetzten Berlin am Ende des Zweiten Weltkriegs. Max Färberböck hat nun das Tagebuch dieser anonymen Berlinerin verfilmt.

Eigentlich für ihren Mann schildert die junge Berliner Autorin 1945 ihre schockierenden Erlebnisse in einer Art Tagebuch, eher nüchtern und analytisch als emotional. 1954 erschien das Buch in den USA und erst vier Jahre später als "Anonyma - Eine Frau in Berlin" in deutscher Sprache. Es stieß auf Empörung, keiner wollte damals mit der jüngsten Geschichte konfrontiert werden.

Und das Thema Vergewaltigung war sowieso tabu. So gab die Autorin ihre Anonymität nie auf. 2003 brachte Hans Magnus Enzensberger das verstörende Tagebuch erneut heraus und löste damit eine Diskussion aus. Denn wie kann man die sexuelle Gewalt der Rotarmisten anprangern, ohne dabei auch über die Gewalt der Wehrmacht zu sprechen?

Nina Hoss verkörpert in dem kammerspielartigen Drama die Anonyma, verletzlich, introvertiert, aber auch kühl und berechnend. Mit ein paar Nachbarn bildet sie eine Zweckgemeinschaft im Haus einer betuchten Witwe (Irm Herrmann), die nicht ausgebombt worden ist. Die Ausstattung von Uli Hanisch schafft dazu eine detailreiche Kulisse zwischen verfallender Pracht und labyrinthischer Enge. Ein paar Straßen weiter tobt noch der Krieg, während man hier schon versucht, zur Normalität zurückzukehren. Die Willkür und sexuelle Gewalt der Russen, die die Straße belagern, gehören dazu.

Zunehmend akzeptiert die junge Frau die Umstände. Sie will sich nicht mehr "berühren" lassen. Damit meint sie ihre Seele. Ihr Körper wird berührt und benutzt, bis sie selbst diese Tatsache für sich nutzen kann. Sie wählt selbst den Major der Truppe (Evgeny Sidikhin) als ihren Bettgefährten und kann sich fortan seines Schutzes und seiner Geschenke sicher sein. Bei feucht-fröhlichen Partys nähern sich Russen (allesamt brillant besetzt) und Deutsche einander an.

Dass Anonyma tatsächlich Gefühle für den Major entwickelt, muss man als Zugeständnis ans große Kino sehen, dem sich Max Färberböck ("Aimée und Jaguar") und seine Co-Autorin Catharina Schuchmann verschrieben haben.

Immer wieder gelingen Szenen, die berühren und verstören. Etwa wenn die Frauen verschwörerisch zusammen sitzen, ihren wiedergewonnenen Lebensmittelstandard mit Kuchen zelebrieren und ausgelassen und fast schon ordinär über Sexuelles reden. Wenn die alternde Witwe etwas stolz von ihrer Vergewaltigung berichtet. Oder wenn Russen und Deutsche gemeinsam feiern und eine Verständigung auch ohne Sprache möglich ist.

Zwischendurch jedoch dehnen sich manche Passagen, bleiben dramaturgisch unmotiviert oder wirken hastig zusammen geschnitten. Abgründe und Brüche meidet Färberböck, wählt eher eine etwas glatte Erzählweise, die niemandem weh tut. So lässt der Film einen merkwürdig unberührt, was bei diesem Thema eher verwundert.