Kosslick: Das Publikum hat Meryl Streep zur Berlinale geholt

Berlin (dpa) - Countdown für die 66. Berlinale. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erzählt Festivaldirektor Dieter Kosslick (67), was ab 11. Februar von den knapp 400 Filmen im Programm zu erwarten ist - und wie US-Schauspielerin Meryl Streep (66) in Berlin erstmals Präsidentin einer Filmfestival-Jury wurde.

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Frage: Wie haben Sie es geschafft, Hollywoodstar Meryl Streep als Jurypräsidentin zu gewinnen?

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Antwort: Das habe weniger ich geschafft, als das Publikum. Das Publikum hat Meryl Streep bei der Verleihung des Goldenen Ehrenbären vor zwei Jahren einen Orkan der Begeisterung und Zuwendung entgegengebracht. Als sie mir sagte, dass sie gerne auch mal länger in Berlin wäre, reagierte ich prompt: „Großartig, da gibt es doch Möglichkeiten.“ Die Juryarbeit ist natürlich ein harter Job, die Juroren müssen 18 Filme in 10 Tagen sehen, sich zu Diskussionen zusammensetzen, Protokolltermine wahrnehmen, Interviews machen und am Ende entscheiden. Aber siehe da: Meryl Streep sagte „Ja“ - obwohl sie noch nie zuvor Präsidentin einer Festivaljury war.

Frage: Wie spiegelt sich unsere Gegenwart mit den vielen Flüchtlingsschicksalen in den Wettbewerbsfilmen?

Antwort: Am deutlichsten zeigt es der Dokumentarfilm „Fuocoammare“ (engl. Titel „Fire at Sea“) von Gianfranco Rosi. Der italienische Regisseur lebte mehrere Jahre auf Lampedusa, um diesen Film zu drehen. Lampedusa kennen wir aus den Medien als Schauplatz grausamer Unglücke von gekenterten Booten mit Flüchtlingen. In einer Mischung aus Dokumentation und inszenierten Szenen erzählt Rosi von dem dramatischen Flüchtlingselend und parallel dazu von einem kleinen Jungen, der auf Lampedusa lebt.

Viele Filmemacher suchen nach den Ursachen der Flüchtlingsströme. In „Briefe aus dem Krieg“ („Cartas da guerra“) des portugiesischen Regisseurs Ivo M. Ferreira (Portugal) geht es um den Angola-Krieg und seine Folgen für Afrika. Der mit acht Stunden längste Wettbewerbsfilm der Berlinale-Geschichte „A Lullaby to the Sorrowful Mystery“ („Hele Sa Hiwagang Hapis“) von Lav Diaz ist auch eine solche Spurensuche. Erzählt wird vom Kampf gegen die spanische Kolonialmacht Ende des 19. Jahrhunderts auf den Philippinen und was die Wunden von Revolution, Invasion und Krieg für die Entwicklung einer Gesellschaft bedeuten. Das sind keine Filme, in denen Panzer auffahren. Dennoch sieht man die Gräuel von Religions-, Großmachts- und Wirtschaftskriegen. Vor solchen Gräuel fliehen heute die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen.

Frage: Welche Themen interessieren die Filmemacher derzeit noch?

Antwort: Die französischen Filme im Wettbewerbsprogramm zum Beispiel sind intelligente Unterhaltungsfilme. „Saint Amour“ mit Gérard Depardieu und „Des nouvelles de la planète Mars“ (übersetzt: Neuigkeiten vom Planeten Mars) von Dominik Moll sind Komödien, bei denen man auch als „ernsthafter“ Berlinale-Besucher lachen kann. Die Filme sind mitten im Leben. Wie Spike Lees „Chi-Raq“ , ein eindrucksvolles Porträt der schwarzen Community in Chicago und einer Gesellschaft voller Gewalt. Verpackt in eine riesige revueartige Geschichte erzählt Spike Lee eine Variante der pazifistischen griechischen Komödie Lysistrata aus der Antike inklusive Sexstreik.

Frage: Spike Lee hat zum Boykott der Oscar-Gala aufgerufen, weil die Oscar-Academy keine schwarzen Schauspieler nominiert hat...

Antwort: ... wir haben Halle Berry schon vor 14 Jahren für ihre Rolle in „Monster's Ball“ den Silbernen Bären verliehen - und gleich darauf erhielt sie als erste schwarze Frau den Oscar als beste Schauspielerin.

Frage: Warum hat es mit „24 Wochen“ von Anne Zohra Berrached nur ein Film eines deutschen Regisseurs, bzw. in diesem Fall einer deutschen Regisseurin in den Bären-Wettbewerb geschafft? Die beiden anderen Filme sind ja deutsche Koproduktionen.

Antwort: Mit „Alone in Berlin“ , „Soy Nero“ und „24 Wochen“ sind insgesamt drei deutsche Produktionen im Wettbewerb. Nicolette Krebitz' Film „Wild“ war schon beim Sundance Film Festival gebucht. Wir hätten gerne noch Tom Tykwers „Ein Hologramm für den König“ für den Wettbewerb gehabt, aber das hat nicht funktioniert. Wir haben aber reichlich deutsche Filme. Über 70 deutsche Filme im Programm, und wenn man die Retrospektive mitzählt, dann sind es fast doppelt so viele. Ich mache mir überhaupt keine Sorgen um die Zukunft des deutschen Films. Wenn man zum Beispiel die Filmemacher in der Sektion Perspektive Deutsches Kino anschaut, da gibt es grandiose Talente.

Frage: Ist die Situation des diesjährigen iranischen Wettbewerbsteilnehmer Mani Haghighi ähnlich schwierig wie die des letztjährigen Berlinale-Gewinner Jafar Panahi? Der regimekritische, zu einer Haftstrafe verurteilte Panahi durfte nicht nach Berlin reisen.

Antwort: Der Regisseur Mani Haghighi lebt im Iran und kann seine Filme dort und auch im Ausland zeigen. Mit „Modest Reception“ war er 2012 bereits im Berlinale-Forum vertreten. Haghighis Wettbewerbsbeitrag „A Dragon Arrives!“ („Ejhdeha Vared Mishavad!“) ist ein großes Epos, das vor allem in der iranischen Wüste spielt. Dort werden große Allegorien entworfen - die kann man deuten oder als großes Tafelgemälde über die Mythen und die Geschichte Irans sehen. Das ist ein großer Wurf. Diesen Film kann man beim besten Willen nicht verbieten. Er ist einfach nicht zu entschlüsseln.

Frage: Gibt es nach den Anschlägen in Paris verschärfte Sicherheitsmaßnahmen bei der Berlinale?

Antwort: Natürlich sind wir uns der Situation bewusst und tun auch alles, was wir tun können. Wir sind synchronisiert mit den Sicherheitsbehörden. Das ist für uns nicht neu. Wir haben ein Konzept. Wir werden alle notwendigen Maßnahmen gegebenenfalls auch kurzfristig umsetzen.

Frage: Haben Sie einen Tipp, wie und wo Filmfans am besten Berlinale-Karten ergattern können?

Antwort: Am einfachsten ist die Kartenbestellung online - wenn man rechtzeitig drückt. Ansonsten muss man leider anstehen, um Karten zu bekommen. Oder man geht auf Hochrisiko und wartet am roten Teppich darauf, dass der Berlinale-Direktor - der immer noch zwei, drei Karten in der Tasche hat - kostenlos ein Ticket verteilt. Ich habe immer Karten dabei für kurzfristig eintreffende Gäste, die direkt vom Flughafen zum roten Teppich kommen.

Frage: Davon könnte dann aber auch mal Frau Müller aus Berlin-Moabit profitieren?

Antwort: Ja, gerade die, und Herr Müller auch.

Frage: Nur noch wenige Tage bleiben bis zum Festivalstart, sind Sie gerüstet? Haben Sie schon die Angora-Unterwäsche für die berüchtigte Berliner Februar-Kälte auf dem roten Teppich aus dem Schrank geholt?

Antwort: Ich bin bereit. Die Angora-Unterwäsche auch. Ich könnte mich schon mal probeweise auf den roten Teppich stellen.

ZUR PERSON: Dieter Kosslick (67) ist seit dem Jahr 2001 Direktor der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Neben den Filmfestivals in Cannes und Venedig zählt die Berlinale zu den „großen Drei“. Die Berlinale gilt als das politischste der Festivals. Kosslicks Markenzeichen auf dem roten Teppich sind sein Hut, sein jährlich wechselnder Berlinale-Schal und seine gute Laune, mit der er die Stars begrüßt. Der Vertrag des gebürtigen Pforzheimers als Berlinale-Chef läuft noch bis 2019.