Subtil Michael Hanekes „Happy End“ in Cannes

Cannes (dpa) - In den Nachrichten sind seit langem Bilder von Flüchtlingen zu sehen. Viele von ihnen leben mittlerweile bei uns. Doch inwiefern betrifft das jeden einzelnen von uns wirklich? Meist geht doch unser Leben genauso weiter wie vorher, ziemlich unbeeinflusst von den Neuankömmlingen, ihrem Leid, ihren Hoffnungen.

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Genau davon erzählt nun auch Michael Haneke in einer Mischung aus Drama und subtiler Satire: „Happy End“ ist die bemerkenswerte Wiederkehr des zweifachen Palmengewinners in den Wettbewerb von Cannes.

Nach dem gefeierten Drama „Liebe“ über ein altes Ehepaar und „Das weiße Band“ über die Anfänge des Faschismus hat sich der Österreicher Haneke nun mit den Schauspielern Isabelle Huppert, Mathieu Kassovitz und Jean-Louis Trintignant ein hochaktuelles Thema vorgenommen. Die Laurents sind eine gut bürgerliche Familie. Ihnen gehört ein größeres Unternehmen, sie wohnen in einem alten Haus mit knarzenden Dielen und Regalen voller Bücher.

Nebenbei erwähnt Haneke in dieser deutschen Koproduktion dann noch ein wichtiges Detail: Die Laurents leben in Calais, dieser Stadt, die zum Inbegriff für eine gescheiterte Politik im Umgang mit Flüchtlingen geworden ist. Während man im Hinterkopf Berichte über katastrophale Zustände in dem Zeltlager hat, scheint die Familie davon unbeeindruckt. Sie kreist vielmehr um ihre eigenen Probleme, von denen es zugegebenermaßen einige gibt.

Großvater Georges (Trintignant) will nicht mehr leben, seine Tochter Anne (Huppert) kämpft mit einem Unfall auf einer Baustelle und ihr Bruder Thomas (Kassovitz) muss das Chaos in seinem Privatleben ordnen. All das erzählt Haneke aus beobachtender Perspektive und gibt jedem dieser Laurents Raum. So kommt man dieser dysfunktionalen Familie langsam näher und lernt ihre Abgründe kennen.

Die eigentliche Kraft und Wucht von „Happy End“ entfaltet sich dann erst in den letzten Filmminuten: Wenn Annes rebellischer Sohn (der Deutsche Franz Rogowski) einige afrikanische Flüchtlinge zur feinen Hochzeitsgesellschaft mitbringt und ein Moment peinlicher Berührtheit entsteht.

Es sind nur wenige Augenblicke, doch die genügen. Die jungen Männer wirken wie Eindringlinge. Sie erinnern die Feiergemeinde an die Probleme der Welt da draußen, die sie erfolgreich verdrängen. Die Botschaft entfaltet sich in „Happy End“ so zwar langsamer und weniger radikal als in Hanekes frühen Werken - dennoch hallt auch dieser Film schließlich nach und regt zum Nachdenken an.

Seine Interpretation des Film verriet Haneke wie gewohnt nicht. „Mein Ziel ist, so wenig wie möglich zu sagen, damit die Imagination der Zuschauer absolute Freiheit hat“, sagte er vor der Premiere am Montagabend. Er versuche zwar, Hinweise zu geben. „Aber die Zuschauer müssen die Antworten selbst finden.“

Möglicherweise gelingt dem 75-Jährigen mit „Happy End“ auch eine Sensation in Cannes. Immerhin gewann er bereits zwei Palmen - käme dieses Jahr eine weitere dazu, wäre er der erste der Festivalgeschichte mit drei Goldenen Palmen.

Die erste wäre es dagegen für den Griechen Giorgos Lanthimos, der ebenfalls am Montag sein Thriller-Drama „The Killing of a Sacred Deer“ vorstellte. Nicole Kidman und Colin Farrell geben darin Eltern, deren Familie auf seltsame Weise in Gefahr gerät, als ein Jugendlicher ihre Nähe sucht. Lanthimos spielt darin mit Andeutungen und Spannungsmomenten, bevor die Story in der zweiten Hälfte Fahrt aufnimmt. Eine nachhaltige Wucht wie bei Haneke entfaltet sein Werk aber nicht.