Murat Kurnaz: Den Peinigern ausgeliefert
Stefan Schallers „5 Jahre Leben“ ist ein überzeugender Film über das lange Leiden des Bremers Murat Kurnaz in Guantánamo.
Eine Pritsche, ein Klo — und eine Echse. Sie gehören zu den quälend langen Tagen in Murat Kurnaz’ Welt. Im Spielfilm „5 Jahre Leben“ wird der Leguan zum engen Freund des Guantánamo-Häftlings. Jahre, in denen Kurnaz geknebelt, gepeinigt und gefoltert wird. Regisseur Stefan Schaller hat das Schicksal des Bremers mit türkischem Pass nacherzählt, der mit 19 Jahren in das US-Gefängnis auf Kuba gebracht wurde und es nach 1725 Tagen als unschuldiger Mensch wieder verließ.
Wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA war der junge Mann für eine Pilgerreise nach Karatschi geflogen, ausgerechnet als die Amerikaner mit der Bombardierung der Taliban und der Ausbildungscamps der Al-Kaida begannen. Bei einer Routinekontrolle in Pakistan wird Kurnaz festgenommen und den Amerikanern in Kandahar übergeben.
Guatánamo, wohin Kurnaz wenig später ausgeflogen wird, ist ein Flecken ohne Recht. Im Kampf gegen den Terrorismus hat US-Präsident George W. Bush für die Enklave Kriegskonventionen und US-Gesetze außer Kraft setzen lassen. Kurnaz wird einer von fast 800 Gefangenen in dem Camp und der einzige aus Deutschland. Daheim werden Vorwürfe laut, Kurnaz sei an der Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ beteiligt gewesen. Bald wird ihm das Stigma des „Bremer Taliban“ angehängt.
Im Februar 2002 weist Außenminister Joschka Fischer (Grüne) die Botschaft in Washington an, sich um Kurnaz zu kümmern. Der Generalbundesanwalt lehnt eine Übernahme der Bremer Ermittlungen gegen ihn ab — aus Mangel an Beweisen. Die deutschen Sicherheitsbehörden äußern dennoch Bedenken gegen eine Rückkehr von Kurnaz, sollte er freigelassen werden. Es folgt jahrelanges Gezerre zwischen Diplomaten und Geheimdienstlern.
Doch Intrigen, Schlampereien und bürokratischer Stumpfsinn sind nicht Thema von Schallers beeindruckendem Diplomfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg. In „5 Jahre Leben“ steht das Leiden des Murat Kurnaz im Mittelpunkt. Der Film beruft auf dessen Buch „Fünf Jahre meines Lebens“ und ist keineswegs eine trockene Bekenntnis-Übung, sondern eine überzeugende psychologische und politische Analyse.
Das Drama kreist um die Verhöre, denen Kurnaz (Sascha Alexander Gersak) ausgesetzt ist. Verhörfachmann Gail Holford (Ben Miles) treibt mit ihm ein Katz-und-Maus-Spiel — mal als netter Helfer, mal als ungnädiger Sadist. Kurnaz soll ein Geständnis über Verbindungen zu Osama bin Laden abgelegen. Nur dann werde er ihm helfen können.
Kurnaz soll gebrochen werden. Tagelang muss er mit anderen Häftlingen unter der brütenden Sonne in Drahtkäfigen knien. Rund um die Uhr wird er mit lauter Musik unter Neonröhren beschallt, am Schlaf gehindert oder mit eiskaltem Wasser übergossen. Selbst eine Freilassung wird vorgetäuscht. Kurnat sagt zu diesen Szenen: „Der Film verharmlost natürlich die Ereignisse.“ Er habe aber gemerkt, dass die im Film gezeigten Gewaltszenen „für die Zuschauer schon sehr nah an der Grenze des Erträglichen sind“.
Von Kurnaz geht eine eigentümliche mentale Stärke aus. Er will keine Schuld bekennen, die er nicht hat. Er schweigt und versucht, seine Würde zu behalten. Selten ist ein Kontakt zu anderen Insassen möglich. Deren Schicksal lässt ahnen, was auch Kurnaz treffen könnte. Seinem Zellennachbar Akhmal wurden beiden Beine amputiert. Die Schläge der Soldaten haben ihm zum Krüppel gemacht.
Dann ist da noch die Echse. Sie schlüpft durch das Abwasserrohr in Kurnaz’ Zelle. Allmählich gewinnt das kleine Tier Vertrauen. Mit dem Leguan kann Kurnaz etwas Menschlichkeit ausleben. Das weiß auch Verhörer Holford. Er fordert Kurnaz auf, das Tier zu töten. Seine Weigerung wird Kurnaz teuer bezahlen.