Pedro Almodóvar: Was Jugend verlängert, ist gut
Düsseldorf. Der Regisseur Pedro Almodóvar über seinen „kleinen Bruder“ Antonio Banderas, Machtmissbrauch und Schönheitschirurgie.
Herr Almodóvar, nach 21 Jahren haben Sie mal wieder mit Antonio Banderas gedreht. Wie war das Wiedersehen an einem Filmset nach so langer Zeit?
Almodóvar: Ich fühle mich Antonio sehr verbunden, er war in den 80er Jahren wie ein jüngerer Bruder für mich. Mit seiner Leidenschaft und seinem Begehren war er einfach perfekt für die Rollen, die ich damals geschrieben habe. Er erinnert sich auch noch daran, was ich ihm bei unserem ersten Treffen vorausgesagt habe: Du kannst gut große Hauptrollen im romantischen Fach spielen (lacht). Als er in die USA ging, eine Familie gründete und sich eine neue Karriere aufbaute, habe ich ihn nur noch etwa alle zwei Jahre gesehen. Aber wir haben eine emotionale Basis, gemeinsame Erlebnisse, das schweißt zusammen.
Ist der Arzt, den Antonio Banderas in Ihrem Film „Die Haut, in der ich wohne“ spielt, eine Art moderner Frankenstein? Er überzieht ja einen Menschen komplett mit einer neuen künstlichen Haut.
Almodóvar: Ich muss zugeben, dass Frankenstein im Film irgendwie präsent ist. Obwohl ich das nicht im Sinn hatte, als ich das Drehbuch geschrieben habe. Wir sehen Vera mit einer Art Landkarte von Narben auf ihrem Körper. Das hat schon was von Frankenstein. Ich hatte auch überlegt, einen Stummfilm in schwarz-weiß zu drehen, weil ich Fritz Lang so sehr bewundere. Ich fand es dann aber doch zu riskant.
Der Arzt im Film missbraucht seine Macht und seine Autorität als Wissenschaftler für Experimente. Worauf spielen Sie damit an?
Almodóvar: Es ist mehr ein Missbrauch von Macht. Wir haben ja etwa im Fall von Dominic Strauss-Kahn ein ungeheuerliches Beispiel für die Demonstration von Macht erlebt. In Windeseile hat er nach seiner Festnahme in den USA mit einem Sack voll Geld seine Freiheit erkauft. Oder: Sie bauen Gefängnisse wie Guantanamo und füllen sie mit Menschen, die nicht wie Menschen behandelt werden. Es gibt viele Beispiele für Machtmissbrauch in unserer Gesellschaft. Manchmal sind wir daran unbewusst beteiligt — durch unsere Gleichgültigkeit. Ich denke nicht, dass es uns im heutigen Europa an Solidarität mangelt. Aber ich bin nicht sicher, wie sehr uns zum Beispiel kümmert, ob die Menschen in Afrika überleben oder nicht.
Wissenschaftliche Experimente können auch Gutes bewirken, im Film dienen sie aber auch dazu, die Identität eines Menschen zu verändern.
Almodóvar: Das ist die schlimmste Form von Missbrauch, die man sich vorstellen kann. Ich sage aber nicht, dass Wissenschaft an sich schlecht ist. Genau wie Elektrizität nicht an sich schlecht ist. Aber wenn man sie für den elektrischen Stuhl benutzt, dann bin ich gegen Elektrizität. Wenn man Wissenschaft so einsetzt wie der Arzt im Film, bin ich auch dagegen. Die Menschheit hat eben auch eine große Fähigkeit, Böses zu tun.
Sie streifen mit Ihrem Film auch das Thema Schönheitschirurgie. Wie stehen Sie dazu?
Almodóvar: Ich würde kosmetische Chirurgie nicht per se verurteilen. Sie kann einem helfen, hässliche Verwachsungen zu korrigieren. Das ist doch wunderbar! Ich finde es auch legitim, die Jugend zu verlängern, zumindest in Maßen. Alles, was Jugend verlängert, ist gut. Ich meine nicht nur die äußerliche, sondern auch die organische und emotionale Jugend. Ich würde doch lieber 90 werden als mit 50 oder 60 sterben. Als Filmregisseur bevorzuge ich allerdings Schauspieler, die sich nicht haben behandeln lassen. Ich brauche Gesichter, die ihr wahres Alter widerspiegeln. Wenn wir so weiter machen, wird es irgendwann unmöglich sein, einen Historienfilm zu drehen.
In den 80er und 90er Jahren waren Sie das „Enfant tTrrible“ des europäischen Kinos. Haben Sie dieses Image damals genossen?
Almodóvar: Die Presse hat in den 80er und 90er Jahren sehr viel Anstoß an meinen Filmen genommen. Das stört mich nicht. Ich selbst aber habe es nie so empfunden. Ich war eben immer schon spontan — damals wie heute. Das hat die Leute oft aufgeregt, und ich glaube das wollen sie auch. Die Leute wollen Skandale. Trotzdem habe ich mich nie als „Enfant Terrible“ gefühlt. Aber dieses Label hängt mir wohl mein Leben lang an.