Tatort-Kritik „Friss oder stirb“ - So war der neue Tatort aus Luzern

Die ersten 30 Minuten des neuen Tatorts aus der Schweiz sind schrecklich langweilig. Wer diesen Teil überstanden hat, wird mit einem Geiseldrama voller wahnwitzig überzogener Charaktere und einer ebenso unsinnigen wie genialen Handlung belohnt.

Leonie Seematter (Cecilia Steiner) und Reto Flückiger (Stefan Gubser) werden von Mike (Misel Maticevic) bedroht.

Foto: dpa/Daniel Winkler

Der Schweizer Tatort „Friss oder stirb“ beginnt außergewöhnlich öde. Liz Ritschard und Reto Flückinger haben es mit dem Fall einer erstochenen Wirtschaftsprofessorin der Uni Luzern zu tun. Es gibt ein paar Verdächtige und ein paar Alibis, ein paar Indizien und ein paar Vermutungen, aber so richtig Fahrt will der Film nicht aufnehmen.

In einer Nebenhandlung fährt ein nervöser Mann Auto. Das Navigationssystem hat die anspruchsvollste Sprechrolle. Der Mann heißt Mike, ist neuerdings arbeitslos und deshalb auf den Weg zum Privathaus von Swisscoal-CEO Anton Seematter. Seematter hat Mikes Job auf dem Gewissen, zumindest geht Mike davon aus. Jetzt will er von dem superreichen Top-Manager den Verdienstausfall für die nächsten 20 Jahre Arbeitslosigkeit erpressen. Er hat sich den genauen Betrag ausgerechnet und macht sich zielsicher auf den Weg. Das kann der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt aber alles noch nicht wissen und deshalb muss er Mike erstmal beim Autofahren zuschauen und dem Navi beim navigieren zuhören. Das soll wahrscheinlich Spannung aufbauen - ist aber in erster Linie sehr langweilig. Mikes Schießübungen auf einem Rastplatz (stilsicher übt er mit einer Konservendose) können die Spannung auch nicht anheizen.

Am frühen Morgen werden Liz Ritschard (Delia Mayer, l-r), Corinna Haas (Fabienne Hadorn) und Reto Flückiger (Stefan Gubser) an einen Tatort gerufen.

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Schlimmster Hangover in meinem Leben #Strange-Guy-In-My-House

Wer die ersten 30 Minuten Mittelmäßigkeit überstanden hat, wird mit einem aberwitzigen Geiseldrama voller Klischees und Drama belohnt. Möglich gemacht wird dieses Erlebnis durch Sofia Seematter, die Frau des Spitzenmanagers stellt den Archetyp der gelangweilten Millionärsgattin da. Depressiv und gelangweilt vegetiert und trinkt sie in der gigantischen Villa vor sich hin. Gefangen im goldenen Käfig. Und dann geht auch noch die Alarmanlage. Wahrscheinlich wieder ein Vogel also ruft sie die Sicherheitsfirma an und lässt alle Sicherungen abstellen. Dummerweise war es Mike und das Geiseldrama beginnt.

So wird das Tatort-Jahr 2019
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Neben Sofia wird auch Tochter Leonie von Mike festgenommen. Leonie ist ein koksendes Rich Kid. Als erste Reaktion auf die Geiselnahme postet sie ein Selfie: Schlimmster Hangover in meinem Leben #Strange-Guy-In-My-House. Spoiler-Alarm: Leonie hat ihre Professorin umgebracht. Ist aber nicht so wichtig. Wichtiger ist Anton Seematters „daily Vitamin Smoothie“. Für den täglichen Fruchtsaft wird das Geiseldrama nämlich unterbrochen. Natürlich erst, nachdem Anton nach Hause gekommen ist und ebenfalls von Mike festgenommen wird. Anton, der „Dealmaker“, verhandelt mit Mike. Er erinnert ihn an die Inflation, die solle er bei seinen Forderungen mit einkalkulieren. Mike ist leicht überfordert und nervös und just in diesem Moment klingelt es und Ritschard und Flücknger stehen vor der Tür. Mike nimmt kurzerhand auch die Kommissare fest und schießt Reto Flückinger ins Bein. Die Ereignisse überschlagen sich.

„Ich gucke Sonntags eigentlich immer Tatort.“

Hier nur eine kleine Auswahl der folgenden Highlights: Sofia Seematter überlistet Mike mit einem selbstgeschriebenen Theaterstück, Anton Seematter und Mike liefern sich eine Verfolgungsjagd mit Maschinengewehr im Hobbykeller, inklusive anschließender Verbrüderung beim Bier. Es gibt ein Geständnis von Leonie im Panic-Room, dann erschießt Sofia ihren Mann und Mike erfüllt - ebenfalls angeschossen - dessen letzten Wunsch; nachdem er ein mobiles Einsatzkommando in Schach gehalten hat.

Der Tatort „Friss oder stirb“ brilliert durch wahnwitzig überzogene Charaktere und eine ebenso unsinnige wie geniale Handlung. Die Absurditäten gipfeln in Anton Seematters nahezu perfekten Alibi: „Ich gucke Sonntags eigentlich immer Tatort.“ Ein Pulp-Krimi voller wunderbar grotesker Geiselnahme-Klischees. Nur die erste halbe Stunde braucht kein Mensch.