Vielleicht mal eine Frau? Viele Favoriten beim Filmfest Cannes

Cannes (dpa) - Vielleicht wird beim Filmfestival Cannes an diesem Samstag Geschichte geschrieben. Immerhin stehen die Zeichen in diesem Jahr auf Veränderung.

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So protestierte Jurypräsidentin Cate Blanchett nicht nur mit 81 anderen Frauen für mehr Gleichberechtigung im Filmgeschäft. In Zeiten von #MeToo herrscht auch mehr Sensibilität für die Stimmen derjenigen, die bisher wenig Gehör fanden. Das gilt für Frauen ebenso wie für andere Gruppen: Während bisher vor allem weiße Männer die Goldene Palme gewannen, könnten dieses Mal ein schwarzer Filmemacher oder eine Regisseurin triumphieren.

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Mit 61 Jahren wäre Spike Lee zwar längst nicht der jüngste Palmengewinner, dafür aber der erste Afro-Amerikaner mit dem Hauptpreis. Seine Satire „BlacKkKlansman“ basiert auf den wahren Erlebnissen eines schwarzen Polizisten, der sich Ende der 70er Jahre in den Ku-Klux-Klan schmuggelte. Das ist nicht nur unterhaltsam und mit viel Witz erzählt, sondern offenbart mit Seitenhieben auf die aktuelle Politik der USA auch, wie viel gegen Intoleranz und Rassismus noch getan werden muss.

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Auch Eva Hussons Beitrag „Girls of the sun“ schaut dahin, wo andere lieber weggucken: Zu den Frauen, die von den Kämpfern des Islamischen Staates entführt und als Sexsklavinnen verkauft werden. Die Französin fokussiert dabei auf Bahar, die als Anführerin einer Fraueneinheit Rache üben will.

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In der Kritikergunst weit oben ist „Happy is Lazzaro“ der Italienerin Alice Rohrwacher, die hier märchenhaft-überzeichnet von ausgebeuteten Hilfsarbeitern berichtet. Mit „Capernaum“ wiederum legte Nadine Labaki aus dem Libanon eine erschütternde Geschichte um einen Zwölfjährigen vor, der seine Eltern verklagt, ihn in diese furchtbare Welt gebracht zu haben - der junge Laien-Hauptdarsteller spielte problemlos alle Profis an die Wand.

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Tatsächlich hätten sich diese drei Regisseurinnen, die es in den Cannes-Wettbewerb geschafft haben, eine Auszeichnung verdient. Es wäre die erst zweite Goldene Palme in der mehr als 70-jährigen Festivalgeschichte, die an den Film einer Frau ginge. Doch egal, wie relevant aktuelle Themen und gesellschaftliche Debatten derzeit auch sind - die Preise eines Filmfestivals sollten sich nicht daran orientieren, sondern die besten, die ungewöhnlichsten, die visionärsten Kinowerke ehren.

Damit wiederum würde kaum ein Weg an der französischen Regielegende Jean-Luc Godard vorbeiführen. Der legte trotz seiner 87 Jahre mit „The image book“ den experimentellsten Beitrag vor. Der Pole Pawel Pawlikowski hingegen, der mit „Ida“ 2015 den Auslands-Oscar gewann, entschied sich für sein „Cold War“ über eine unmögliche Liebe in Zeiten des Kalten Krieges für wunderschöne, durchkomponierte Schwarz-Weiß-Bilder und ein quadratisches Bildformat. Und der Russe Kirill Serebrennikow blieb mit seinem stimmungsvollen „Leto“ in Erinnerung, in dem er charismatische Musiker im Leningrad Anfang der 80er Jahre porträtierte.

Die Auflistung dieser Filme zeigt zum einen, dass es in diesem Jahr keinen eindeutigen Favoriten gibt. Zum anderen wird klar, dass der Wettbewerb zwar nicht vor bekannten Namen strotzte, dafür aber mit zahlreichen guten Werken überraschte. Dazu gehört auch der japanische Beitrag „Shoplifters“, der bereits zum Gewinner der Herzen wurde. Es ist ein tieftrauriges und zugleich warmherzig erzähltes Werk über eine von Außenseitern zusammengewürfelte Familie. Still, aber eindringlich fängt Hirokazu Koreeda gesellschaftliche Probleme ein - auch das wäre eine Goldene Palme wert.