"Zero Dark Thirty": Jagdszenen aus Washington
Für die packende Rekonstruktion der Jagd auf Osama bin Laden ist Kathryn Bigelows Thriller „Zero Dark Thirty“ für fünf Oscars nominiert.
Düsseldorf. Der Raum ist rechteckig und kahl, Putz bröckelt von den Wänden. Maya (Jessica Chastain) kann nicht immer hinsehen, wenn die Faust des CIA-Ermittlers das Gesicht des Gefangenen trifft. Die junge Analystin hat Folter noch nicht ganz als Mittel zum Zweck akzeptiert. Doch sie schluckt ihre Zweifel herunter. Das Verlangen, an Informationen über Osama bin Laden zu gelangen, ist größer.
Fast zehn Jahre wird Maya ihn jagen. Selten wird sie dabei vor Ort sein und einem Verhör beiwohnen, wie in den ersten Szenen von „Zero Dark Thirty“, wenn sie und ihr Kollege Dan (Jason Clarke) versuchen, aus Ammar al-Baluchi die Namen von Kontaktpersonen herauszupressen. Angeleint, auf allen vieren, wird der junge Mann durch die Baracke geführt. Eimerweise wird Wasser über ihm ausgegossen, während zwei Beamte ihn festhalten.
Regisseurin Katherine Bigelow, für ihr eindringliches Irakkriegs-Drama „The Hurt Locker“ vor drei Jahren mit dem Oscar belohnt, schafft es, diese Momente, in denen Entmenschlichung einer vermeintlich guten Sache dienen soll, drastisch, aber ohne Effektheischerei zu schildern. Es geht ihr nicht darum, Folter als legitimes Mittel darzustellen. Sie will zeigen, wie sich die Personen, für die die Jagd auf Amerikas Staatsfeind Nummer eins zum Lebensinhalt wird, entwickeln, wie sie straucheln, aufstehen, tagein, tagaus funktionieren, in andere Abteilungen flüchten oder zugrunde gehen.
Maya ist Dreh- und Angelpunkt dieser dokumentarischen Studie, die für fünf Oscars nominiert ist. Meistens sieht man ihr dabei zu, wie sie Akten mit Abschriften von Verhören wälzt, wie sie Satellitenaufnahmen auswertet, immer auf der Spur der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. Mechanisch stopft sie sich das Essen in den Mund, während sie ihrer Arbeit nachgeht. Nahrungsaufnahme ist für diese Frau, deren Tunnelblick entsetzlich weit reicht und beklemmend eng geworden ist, nur bloße Notwendigkeit. Jessica Chastain („The Help“, „The Tree of Life“), die zurzeit wahrscheinlich wandelbarste US-Schauspielerin, schafft es, Mayas Verbissenheit nachvollziehbar erscheinen zu lassen.
Sie muss mal wieder Spaß haben, raunzt ihre Kollegin Jessica (Jennifer Ehle) sie an, als sie sich in Islamabad im Restaurant des Marriott zwei Stunden Freiraum nimmt und dabei wie ein Kind guckt, dem man die PlayStation weggenommen hat. Sekundenbruchteile später detoniert am Hotel die Bombe, die am 20. September 2008 54 Tote und 266 Verletzte forderte.
Mit diesem Kunstkniff, einige ihrer Hauptpersonen an Ereignissen teilhaben zu lassen, die im kollektiven Gedächtnis schlummern, verknüpft Bigelow das fiktive Personal mit der Wirklichkeit. Spannend ist daran nicht das, was an Agentenfilmen normalerweise spannend ist — konspirative Treffen, Verwirrmanöver, Ermittlungsfortschritte. „Zero Dark Thirty“, dessen Titel die interne Bezeichnung für die Zeit des Zugriffs auf bin Ladens Versteck ist, fesselt wegen seiner nüchternen Anatomie einer Geheimdienstmission. Die CIA-Mitarbeiter versauern an ihren Rechnern, sie kämpfen gegen Bürokratie, hierarchische Anmaßung und politisches Kalkül.
Der entscheidende Moment dieser mutigen und unkonventionellen Fahrt ins dunkle Herz Amerikas ist nicht die Liquidierung des Mannes, der zehn Jahre im Fadenkreuz von Mayas geistigem Auge stand. Es ist die Leere, die nach dem Schuss entsteht, das Gefühl völliger Taubheit, wo sich eigentlich Erleichterung einstellen sollte. Allein für diesen Blick, der all diese diffusen Gefühle kanalisiert und den die Kamera minutenlang festhält, wäre der Oscar für Jessica Chastain völlig gerechtfertigt.
WZ-Wertung: Vier von fünf Punkten