„Irgendwann ist eben Ende“ Gerhard Richter hört auf zu malen

Köln · Deutschlands größter Maler legt den Pinsel aus der Hand: Mit 88 Jahren beschließt Gerhard Richter sein Werk. Als Künstler setzt er sich allerdings noch nicht zu Ruhe.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Gerhard Richter schmunzelt, als er gefragt wird, ob er wirklich aufhören will. „Irgendwann ist eben Ende“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. „Das ist nicht so schlimm. Und alt genug bin ich jetzt.“ 88 Jahre, um genau zu sein.

Der gebürtige Dresdner gilt als höchstdotierter lebender Maler überhaupt und führt weltweit Künstler-Rankings an. Doch der Mensch Gerhard Richter bildet den größtmöglichen Kontrast zu all diesen Superlativen. Er ist denkbar bescheiden. Jedes Aufsehen um seine Person ist ihm unangenehm. Schon seit vielen Jahren tritt er in der Öffentlichkeit kaum noch in Erscheinung. Seit es ihm gesundheitlich nicht mehr so gut geht und zudem noch Corona herrscht, bleibt er lieber ganz daheim in seinem ruhigen Haus mit vorgelagertem Atelier im Kölner Villenviertel Hahnwald.

Gerade sind seine drei großen Kirchenfenster für das Kloster Tholey im Saarland enthüllt worden. „Das ist sicher meine letzte Werknummer“, sagt er dazu. In seinem Werkverzeichnis komme ein „Tisch“ als Nummer 1. Dieses Bild entstand im Jahr 1962. „Die Fenster haben Nummer 957. Aus.“

1962 - das ist jetzt 58 Jahre her. Und auch da war er schon 30 Jahre alt. Richter ist Jahrgang 1932. Er kann sich noch an das unzerstörte Dresden erinnern. „Die Großmutter besuchen, die Tante besuchen. Wohnungen, Straßenbilder sehe ich da vor mir.“ Ab 1951 studierte er an der Kunstakademie Dresden. Dort durfte man aus der Bibliothek keine Bücher ab dem Impressionismus ausleihen. 1961 ging er in den Westen.

„Ich hatte 1959 die documenta gesehen, damals konnte man noch reisen.“ Er trampte mit einem Freund nach Kassel und bestaunte dort Jackson Pollock, Lucio Fontana... Wirtschaftlich ging es ihm im Westen zunächst schlechter als im Osten. Um sich sein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf zu finanzieren, baute er sogar Figuren für Karnevalswagen: einen Eber und sechs kleine Schweinchen aus Pappmaché. Lang, lang ist's her. 2015 wurde ein „Abstraktes Bild“ von ihm bei Sotheby's in London für umgerechnet 41 Millionen Euro versteigert. „Das ist gruselig“, sagt er dazu.

In seinem Werkverzeichnis sind seine großen Gemälde und seine Skulpturen aufgenommen. „Es gibt ein paar Arbeiten auf Papier, die eine Nummer haben, aber das sind Ausnahmen“, erläutert Dietmar Elger, Leiter des Gerhard-Richter-Archivs in Dresden und Biograf des Künstlers.

Und jetzt also „aus“. Das wäre das Ende einer Ära. Oder kommt da doch noch was? Fakt ist, dass sich Richter vor zehn Jahren schon einmal ähnlich geäußert hat - und dann folgten noch viele, viele Gemälde, manche davon groß wie eine halbe Wohnzimmerwand.

Allerdings hatte man als Außenstehender schon länger ein etwas mulmiges Gefühl, wenn man dabei zusah, wie der schmale alte Herr in seinem Atelier auf eine Leiter stieg, um die riesigen Leinwände zu bearbeiten - und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Er pinselte, spachtelte, kratzte und rakelte. Zog also einen großen Schieber über das Bild und verwischte dadurch die Farbe. Das war eine enorme Kraftanstrengung. Inzwischen sagt er selbst, dass er das nicht mehr kann: „Bilder kommen, glaub ich, nicht mehr.“ Und das sei ja auch „kein Wunder mit 88“. Heißt also: Mit dem Malen ist Schluss.

Aber was macht er dann jetzt den lieben langen Tag? Einer wie er kann nicht einfach relaxen, er muss sich immer mit irgendetwas beschäftigen. „Ach, ich mache das und das“, sagt er. „Grabe rum, bringe in Ordnung, muss Briefe beantworten. Ich habe immer was zu tun.“

Die wichtige Nachricht für die Kunstwelt ist jedoch: Gerhard Richter ist durchaus noch schöpferisch tätig. Er zeichnet. Sogar fleißig. Seine kleinformatigen abstrakten Bleistiftarbeiten greifen das Formenrepertoire der Gemälde auf und sind farbig, was es vorher kaum gab. Er nutzt dafür Farbstifte und Fettkreide. Damit erzielt er in den Worten von Dietmar Elger eine „spezifische malerische Anmutung“. Rund 70 dieser neu entstandenen Zeichnungen waren in diesem Jahr in einer Ausstellung im Albertinum in Dresden zu sehen.

Richter selbst kündigt an: „Da wird wahrscheinlich noch was kommen, was im Februar gezeigt wird in München und eventuell New York. Skizzen. Farbig-abstrakt. Nicht so doll.“ Diese letzte Bemerkung - „nicht so doll“ - ist typisch Richter. Sie spiegelt seine selbstkritische Haltung, die so weit geht, dass er in der Vergangenheit immer wieder auch fertige Gemälde verworfen und zerstört hat. Stets vermeidet er es, auf das Attraktive oder gar Dekorative hinzuarbeiten und einem bestimmten Stil oder Geschmack zu folgen. Dazu ist es unerlässlich, dass er sich eine kritische Distanz zum eigenen Werk bewahrt. Er spricht deshalb auch nicht gern über den Erfolg seiner Kunst, schon gar nicht über den kommerziellen. Er schiebt das weg - ganz bewusst.

Die Zeichnungen will er nicht in das bestehende Werkverzeichnis aufnehmen, sondern bereitet dafür ein eigenes Verzeichnis vor. Dietmar Elger kann sich außerdem vorstellen, dass Richter auch weiterhin Projekte anleitet. „Wo er eben Entwürfe macht, die bearbeitet werden. Dann bekommt er das zurück und korrigiert es wieder.“ Solche Projekte, die körperlich nicht so anstrengend sind, sondern bei denen sein Arbeitsanteil eher konzeptionell ist, könnte er weiter gut bewältigen. Auf diese Weise entstanden auch die Kirchenfenster von Tholey.

Elger glaubt, dass man Richters Äußerungen deshalb etwas relativieren muss: „Ich bin zuversichtlich, dass er jetzt nicht in Rente geht. Man kann sich das schlecht vorstellen.“

Es tut sich also noch so einiges in dem abgeschiedenen Atelier in Köln-Hahnwald. Gerhard Richter hält das alles allerdings für keine große Sache. Er bleibt die Bescheidenheit in Person. „Viel kann ich Ihnen nicht sagen“, bemerkt er geradezu entschuldigend. „Wie's eben so bei alten Leuten geht...“

(dpa)