Goebbels Haus Gregor Schneider will „die Wunde offenhalten“

Düsseldorf/Mönchengladbach. · Der Künstler Gregor Schneider ist zum Forscher über die Vergangenheit von Joseph Goebbels geworden. Jetzt drehte er einen Film vor dem Jugendhaus von Hitlers Intimus.

Der für seine verstörenden Raumskulpturen bekannte Künstler Gregor Schneider hat das Geburtshaus des Nazi-Propagandaministers Joseph Goebbels entkernen lassen und will den Schutt in Warschau ausstellen.

Foto: picture alliance / dpa/Federico Gambarini

Gregor Schneider zählt zu den bedeutendsten Künstlern seiner Generation. Nicht mit Bildern und Skulpturen, sondern mit leeren, teilweise zerstörten Räumen. Als er sein Wohnhaus in der Unterheydener Straße in Mönchengladbach-Rheydt ausgeschlachtet hatte und im Deutschen Pavillon zum „Toten Haus u r“ machte, bekam er 2001 den Goldenen Löwen auf der Biennale von Venedig. Für ein totes Haus also. Seit 30 Jahren untergräbt, verwandelt oder verdoppelt er Räume. Seit 2014 verknüpft er sie mit der Geschichte von Hitlers Propaganda-Minister Joseph Goebbels. In der Konrad Fischer Galerie präsentiert er unter dem schön klingenden Titel „Sommermärchen 2014 Rheydt 13. Juli 2014“ eine sonderbare Uraufführung.

Das Trauma der Bewohner von der Dahlener Straße in Rheydt

Schneider hatte sein Stativ während des Endspiels der Fußball-Nationalmannschaft vor einem unspektakulären Gebäude in der Dahlener Straße aufgebaut. Ein Allerweltshaus. Etwas kleiner als die Gebäude der Umgebung. Unverputzt, unsaniert und bescheiden. Als wäre die Zeit dort stehengeblieben. Es ist das Haus, in dem Goebbels seine Jugend verbracht hat. Es ist 21 Uhr, die letzte Filmaufnahme stammt von 23.36 Uhr. In der Zwischenzeit hat Deutschland die Fußball-Weltmeisterschaft gewonnen. Davon kündet nichts vor der Fassade des Hauses. Niemand tritt frohgemut oder gar jubelnd vor die Tür. Auch die Umgebung des Hauses bleibt menschenleer.

Stattdessen wird eine Fenster-Rollade heruntergelassen. Das Licht eines Fernsehers ist im Haus zu erkennen. Nach dem Spiel wird der Fernseher ausgeschaltet und kurz das Licht angemacht. Dann wird das Haus wieder dunkel.

Offensichtlich gibt es unter den Hausbewohnern niemanden, der mit den Fans unbeschwert feiern will. Für Gregor Schneider ist dies ein Zeichen für ein nicht verarbeitetes Trauma, für einen mit belasteter Geschichte aufgeladenen Ort. Er sagt: „Rheydt wurde im Zweiten Weltkrieg zu 80 Prozent zerstört. Nur die Häuser, in denen Goebbels aufgewachsen ist und gelebt hat, überdauerten unverändert.“

Seit der Einladung zur Biennale von Venedig beschäftigt er sich mit der braunen Vergangenheit in seiner Heimatstadt Rheydt, um entschlossen festzustellen: „Wir müssen informieren. Wir brauchen die öffentliche Diskussion. Wir müssen die Wunde offen halten. Es muss wehtun.“

Schon 2005 war er auf das noch im Originalzustand erhaltene, grün angestrichene Geburtshaus von Goebbels in der Nachbarschaft seines eigenen Wohn- und Arbeitshauses gestoßen. Bis 2006 wusste das Stadtarchiv Mönchengladbach angeblich nichts von der Existenz des Hauses, was der Künstler bezweifelt. „Das Haus hat sich doch äußerlich nicht verändert. Nazis haben zu Goebbels Geburtstag Blumen vor die Haustür gelegt. Und Goebbels hat sein Geburtshaus in seinen Tagebüchern beschrieben. Aber die Bewohner hüteten das Geheimnis.“

Nun ist Gregor Schneider zwar freundlich im Auftreten, aber stur in der Sache. 2008 fand er die Familie Goebbels im Melderegister unter der vermuteten Adresse, was für den Archivar angeblich ein Novum war. Über das Portal Immobilienscout stieß er 2013 auf eine Anzeige für ein Haus, in dem sich eine Familie mit etwas handwerklichem Geschick „eine gemütliche Wohnoase schaffen“ könne. Es war das Geburtshaus Goebbels.

Er kaufte es 2014, als Familie Schmitz und damit der ursprüngliche Vermieter der Familie Goebbels ausgezogen war. Der Künstler als neuer Eigentümer wusste genau, dass er dieses Haus nicht zum Denkmal machen wollte. Sofort nach dem Kauf beschaffte er sich die Abrissgenehmigung. Was ihn wurmte, war die Tatsache, dass die Stadtverwaltung trotzdem die Grunderwerbssteuer kassierte.

Schneider ist kein Dokumentarist, der Räume wie Denkmäler behandelt. Eine NS-Kultstätte für rechtsradikale Gruppierungen wäre das Letzte, was ihm vorschwebte. Dennoch setzte er sich zunächst der Stimmung im Haus aus, lebte dort, schlief im Bett, fotografierte das Milieu und drehte ein Video mit sich im Bett und am Kaffeetisch. Er wollte die Last der NS-Vernichtungsgeschichte an sich selbst spüren und indirekt in den Fotos und im Film spürbar machen. Doch dann ließ er das Haus bis auf die Grundmauern Schicht für Schicht abtragen. Den Schutt lud er auf einen Laster und fuhr ihn nach Warschau vor das Nationalmuseum. Anschließend stellte er den Laster mitsamt Schutt vor die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz (1933 bis 1945 Horst-Wessel-Platz).

Den Künstler lassen die Tagebücher des Hitler-Intimus nicht los. Er kennt viele Passagen auswendig und meint, Goebbels habe sich wie ein Narziss mit dem Ort seiner Geburt beschäftigt. Selbst kurz vor seinem Suizid mit Frau Magda und sechs kleinen Kindern im Führerbunker nahm er Rache, weil an seinem Geburtshaus eine weiße Fahne gehisst wurde. Dies beschreibt er im Tagebuch. Er startete Attentate mit „seiner Werwolf-Organisation“. Er wollte „den OB Vogelsang von Mönchengladbach niederlegen und an den Pfarrern ein Standgericht durchführen lassen“. Der neue OB in Aachen wurde ermordet. Jeden deutschen „Verräter“ wollte er zur Strecke bringen.

Was den Geschichtsforscher unter den Künstlern wurmt, ist die Tatsache, dass die Menschen aus Rheydt in Deckung gingen anstatt Zivilcourage zu beweisen. Die Bewohner von Goebbels Jugendhaus öffneten ihm gar nicht erst die Tür. Dabei hätten doch die Rheydter, so Schneiders Meinung, als Gemeinschaft die Verantwortung übernehmen und die Bevölkerung schulen können. Möglicherweise kommt jetzt für den Künstler Schloss Rheydt an die Reihe, das 1940 für den Ehrenbürger Goebbels umgebaut wurde. Als Architekt beschäftigte man den damaligen Direktor der Kunstakademie Düsseldorf, Emil Fahrenkamp. Der war bei den Nationalsozialisten gut im Geschäft. Er baute etwa für den Reichsminister Göring die Malerschule Kronenberg in der Eifel.