Frau Doughty, in Ihrem Buch kritisieren Sie den Umgang der westlichen Staaten mit dem Tod. Was daran ist falsch?
Interview mit Bestatterin Caitlin Doughty Wie begegnen wir dem Tod – und den Toten?
Düsseldorf · Die amerikanische Bestatterin Caitlin Doughty setzt sich für einen natürlichen Umgang mit dem Tod ein. Aber wie? Und: Haben Sie Angst vor dem Tod?
Caitlin Doughty: Die westliche Welt hat sich einer übermäßigen Professionalisierung des Todes zugewandt. Demnach ist die Familie nicht qualifiziert, sich an der Sterbebegleitung zu beteiligen. Die Leiche wird als etwas Gefährliches wahrgenommen, das sofort an ein Bestattungsunternehmen weitergereicht werden muss. Ich halte das für dumm. Es gibt keine Wissenschaft, die das unterstützt. Die Menschen sind Zehntausende von Jahren mit ihren Toten selbst umgegangen. Tote sind nicht gefährlich. Und es kann den Trauerprozess unterstützen, um sie herum zu sein.
Warum reden wir in unserer Zivilisation so wenig über den Tod?
Doughty: Wenn der Tod vollständig an Unternehmen ausgelagert wird, fühlt er sich für eine Gesellschaft nicht mehr real an. Früher hatte man keine Chance, den Tod zu ignorieren. Der Tod ereignete sich die ganze Zeit, etwa durch Epidemien. Menschen starben zu Hause, wurden dort aufgebahrt. Aber jetzt, da alle unsere Körper tendenziell in Krankenhäuser oder Bestattungsunternehmen ausgelagert werden, wird der Tod versteckt. Das ist unser Trick.
Sie haben erforscht, wie anderswo auf der Welt gestorben und getrauert wird.
Doughty: Ich war ein Experte darin, wie Amerikaner mit ihren Toten umgehen. Aber ich wusste nichts über andere, und ich habe das auch sicher nicht zu beurteilen. Ich wollte mich inspirieren lassen.
Was haben Sie erlebt?
Doughty: Es gab viele aufregende Momente. Zum Beispiel in Tana Toraja in Indonesien: Dort halten sie die Leichen im Haus für manchmal Jahre mumifiziert. Und selbst wenn die Person begraben ist, kommen sie alle paar Jahre für eine Zeremonie zurück, bei der die mumifizierten Toten aus den Gräbern geholt werden. Frische Outfits, der Körper wird gereinigt, und die Familie macht Familienporträts mit der toten Person. Das Kurioseste: Es hat sich gar nicht wie ein außergewöhnliches Abenteuer angefühlt, eher wie eine Party zuhause: Einige trinken Bier oder rauchen, andere schauen bei Instagram rein und einige reinigen Mumien. Aber: Ich bin dort auch durch eine Höhle mit Schädeln gekrochen. Das hatte was von Indiana Jones.
Was sind die verrücktesten Riten, wenn es um Trauer und Tote geht?
Doughty: Mein Lieblingsbeispiel kommt aus Tokio: Sie fertigen hochtechnologische, große Kolumbarien (Grabkammern) an, mit Buddhas mit LED-Beleuchtung, wie in einem Technik-Farbraum. Japan hat eine echte Verbindung mit dem toten Körper und älteren Traditionen, den Körper anzuziehen. Für mich als Praktizierende ist das inspirierend, dass man eine aufregende technologische Todeslandschaft des 21. Jahrhunderts mit alten Riten kombinieren kann. Sie haben auch so etwas wie Leichenhotel: Wenn die Familie es nicht sofort zur Beerdigung schaffen kann oder in einer zu kleinen Wohnung lebt, können Sie diesen gemieteten Raum haben, in dem sie mit der Leiche sind.
Was sind Ihre Erfahrungen mit uns Deutschen?
Doughty: Positiv. Es gibt in der deutschen Bestattungsbranche keine hohe Eintrittsbarriere. In den USA muss man zur Schule gehen, Lizenzen erwerben und viel Geld haben, um ein Bestattungsunternehmen zu gründen. In Deutschland haben viel mehr Menschen Zugang, auch mehr Frauen und Zuwanderer, die wiederum ihrer eigenen Gemeinschaft dienen können. Und bei euch wird viel weniger einbalsamiert: Die Körper werden nicht chemisch konserviert. Deutsche Bestatter finden es verrückt, wie viel Chemikalien wir in den USA in die Körper pumpen, um die Familien zu schützen. Was ich schlecht an Deutschland finde: Hier hat man wenig Rechte, wenn es um die Asche der Angehörigen geht. Asche sind anorganische Knochenfragmente, nach dem Prozess der Verbrennung ist es im Grunde genommen Sand – und sicher nicht gefährlich. Aber in Deutschland muss man das von einem Bestattungsunternehmer erledigen lassen. Du kannst es nicht mit deiner Familie verstreuen oder mit nach Hause nehmen und die Asche auf den Kaminsims stellen. Das geht bei uns.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Doughty: Ja. Das Ziel hier besteht nicht darin, die Angst vor dem Tod vollständig abzubauen, das ist auch nicht möglich. Die Beziehung der Menschen zum Tod verändert sich, es ist eine lebenslange Beziehung, die du mit deiner eigenen Sterblichkeit hast. Der Tod ist eine Reise.
Was kommt nach dem Tod?
Doughty: Mein persönlicher Glaube ist, dass nach dem Tod nichts wirklich passiert. Das Licht wird dunkel, du verblasst, das Ende ist erreicht. Ich glaube, dass unser Sinn für die Welt, unsere Persönlichkeiten und Interaktionen von unserem Gehirn gesteuert sind. Wenn das nicht mehr geschieht, erleben wir die Welt nicht mehr. Das ist der Tod. Wir leben durch andere Menschen und in der Arbeit, die wir leisten, weiter. Und auch mit unserem Körper, wenn wir eine natürliche Beerdigung wählen: Wenn der Körper zurück in die Erde geht und unsere Atome in einen Baum wachsen oder andere Pflanzen ernähren. Das ist auch Unsterblichkeit.
Sie sagen: Die Nähe zu den Toten wird durch unsere Zivilisation beseitigt. Brauchen wir sie aber, um mit dem Tod besser klar zu kommen?
Doughty: Menschen, die sich dafür entscheiden, bei ihren Toten präsenter zu sein, berichten, dass es für sie eine lebensverändernde Erfahrung ist. Fast immer. Sie sagen, dass sich ihre Trauer völlig verändert hat. Es gab ihnen das Gefühl, der Person, die starb, näher zu sein. Es gab ihnen das Gefühl, ihrem eigenen Sinn für ihre Todesangst und Sterblichkeit näher zu kommen. Ich sage Ihnen: Seien Sie offen für die Möglichkeit, das könnte eine schöne, hilfreiche Erfahrung für Sie sein.