Gegenwartskunst Frauen inszenieren Politik auf der Biennale

Venedig · Mit aufwendigen Videos und Installationen repräsentieren und reflektieren Düsseldorfer Künstlerinnen ihre Herkunftsländer auf der Biennale.

Spiel mit dem Stein auf dem Kopf: Helene Duldung, Künstlersprecherin, und Künstlerin Natascha Sadr Haghighian, alias Natascha Süder Happelmann, informierten im Oktober zu ihren Biennale-Plänen.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Rund 300 Biennalen gibt es weltweit, aber Venedig ist und bleibt die Nummer eins. Ihren Charme und ihre Schönheit machen einerseits die Lage an den unzähligen Kanälen, andererseits die nationalen Pavillons aus. Hier gibt es noch immer einiges zu entdecken, was bislang dem internationalen Kunstmarkt entgangen ist. Der Deutsche Pavillon gehört in der Regel zu den Attraktionen. Diesmal allerdings lebt er von der Verweigerung. Nichts soll schön und kunstmarktgerecht sein.

Natascha Sadr Highighian, Professorin für Bildhauerei in Bremen, redet nicht. Schon gar nicht ihr Alter Ego, die Kunstfigur Natascha Süder Happelmann. Man muss ihr Spiel mit dem Stein auf dem Kopf mögen. Auch ihr Auftritt am Mittwoch im Pavillon, als Tausende von Journalisten noch nicht die Kontrolle an den Einlass-Stellen überwunden hatten, war wenig freundlich. Der nächste Auftritt kommt am Freitag, wenn die Heerscharen von Journalisten abgereist sind. Was ihre Sprecherin zu sagen hat, lässt sich sowieso im Internet nachlesen.

Migration als Thema der künstlerischen Inszenierung

Zwei Erklärungen seien dennoch hinzugefügt, die der Inszenierung gelten. Im ersten Raum, der eher an ein Kabinett erinnert, sind leere Container für Tomaten aufeinandergestapelt. Vielleicht erinnert sich so mancher Zeitungsleser an jenen Tomatenlaster, in dem an einer Straßenkreuzung in Apulien mehr als ein Dutzend Migranten starben.

Der große Raum ist zu einem Ankerzentrum geworden, oder in fingierter deutsch-iranischer Sprache (die Künstlerin hat derlei Wurzeln) zu einem „Ankersentrum“. Seit 2018 gibt es solche Sammelstellen, wo Flüchtlinge „ankern“, um auf ihr zukünftiges Schicksal zu warten. Bis unters Dach des Pavillons führt eine Art Riesenrampe, zu hoch für Skateboardfahrer, zu steil für einen Damm. Aus einem Metallgerüst wurde die Installation hergestellt und mit Betonmörtel beworfen. Natürlich finden sich auch Steine, die aus Styropor und Betonfarbe von Sina Ahmadi stammen und nun auf dem Boden liegen. Das Raumkonzept stammt von der Kooperative für Darstellungspolitik.

Hier wird die Künstlerin mutig. Gleichsam auf leisen Sohlen liest sie der Gesellschaft die Leviten und reißt den Politikern die Maske vom Kopf. Wenn man ihren Stein auf dem Kopf als Symbol nimmt, gehörte er eigentlich auf viele Köpfe. Weltweit sind heute mehr als 250 Millionen Menschen von der Migration betroffen. Nicht Ausgrenzung ist gefragt, sondern Mitmenschlichkeit. Zwischentöne also.

Wie das funktioniert, macht eine riesige Klanginstallation deutlich, wofür sechs Komponisten und Musiker aktiv sind. So kommen elektronischer Afrobeat, die Klänge einstiger Sklaven aus der Gegend von La Réunion, Flöten und Trommeln, Geigen und Celli hinzu, überlagert von Cosmic Jazz und Minimalismus.

Künstlerin Anna K.E. vertritt Georgien auf der Biennale.

Foto: Helga Meister

Anna K.E., 32 Jahre alt und junge Mutter, hat ihren triumphalen Auftritt im Arsenal. Dort bespielt sie den Länderpavillon von Georgien und wird schon jetzt von Direktoren und Kuratoren vor allem aus New York umringt, wo sie derzeit lebt. Die Meisterschülerin von Georg Herold an der Kunstakademie wuchs in einer Künstlerfamilie auf. Sie ist die Dritte, die in Venedig gastiert. Vater Gia Edzgveradze vertrat 1997 Georgien, Stiefmutter Tamara K.E. 2003. Die Großmutter galt als großartige Schauspielerin, und die Mutter Keti Kapanadze wird als Malerin gerühmt.

Videos sind auf der diesjährigen Biennale „en vogue“

Anna K.E. hat eine gekachelte Bühne in ihrem hellen Raum aufgebaut. Eine ansteigende und absteigende Plattform. Sie erinnert mit ihren Armaturen an ein Schwimmbad. Aber so ganz stimmt die Installation nicht. Die Kacheln sind hochglänzende, lackierte Aluminiumplatten, die wie großformatige Pixel wirken. Wasserhähne mit tatsächlich plätscherndem Wasser sollen an georgische Buchstaben erinnern, ergeben aber das englische Wort für derangiert. Geht man um dieses Bassin herum, hat man dieselbe Ausführung in Schwarz statt Weiß. Und man trifft auf Videos in invertierten Farben. Ein Spiel mit Spiegelbildern, dem sie die Firmenbezeichnung „Rearmirrorview“ gibt, also Rückspiegelblick.

Der ganze Aufwand gilt den Videos, in denen die Humoristin sogar ab und zu ihre schlabbrige Turnhose fallen lässt und der Betrachter im schicken Milieu den nackten Po sieht. Sie baut robbend und schiebend im Film einen Raum auf,um ihn sofort zu zerstören. In einem neueren Video schiebt sie sich mitsamt rutschender Hose durch einen langen Gang im Atelierhaus, einen Bürostuhl neben, über und unter sich. Ein anderes Video zeigt, wie sie vergeblich versucht, sich mit beiden Armen auf dem Rücken zu verbinden. Die Beamer sind in die klinisch weißen Platten eingelassen, als wollten sie das feste Fundament ad absurdum bringen. Eine köstliche Komödie, das Ganze.

Danica Dakic ist die einzige Wahl-Düsseldorferin, die in Venedig an vorderster Front mitmischt. Sie wurde in Sarajevo geboren und kam mit dem Master-Diplom als Gast an die Kunstakademie zu Nam June Paik. Mit den Balkankriegen begann sie, Begriffe wie Nationalität und Identität zu reflektieren. Heute lehrt sie an der Bauhaus-Akademie in Weimar. In Venedig bespielt sie den Länderpavillon von Bosnien und Herzegovina.

Auf Gegenwartspessimismus
folgt die Hoffnung

In Kooperation mit dem Kameramann und Fotografen Egbert Trogemann und dem Komponisten Bojan Vuletic, die beide in Düsseldorf wirken, sowie der Produzentin Amra Baksic Camo ist sie ein eingespieltes Team. Immer geht es ihr um Vorgänge, die mit dem kulturellen Gedächtnis zu tun haben. Letztlich geht es um Utopien in einer eher traurigen Gegenwart. In dem barockem Palast Ca Bernardo zeigt sie drei Filme, die sie als Zenica Trilogie zusammenfasst. Die Stadt Zenica, 80 Kilometer von Sarajevo entfernt, war einst ein Zentrum der Stahlindustrie und der Braunkohle. Sie galt als Symbol des jugoslawischen Fortschritts. Zeichen der Modernisierung ist das große Theater, ein Denkmal der Architektur, aber es befindet sich wie die gesamte Stadt im Zustand des langsamen Niedergangs.

Danica Dakic belässt es nicht bei der Stimmung des Pessimismus. Sie sucht in einer sensiblen Menschenführung nach minimalen Gesten der Sehnsucht und der Hoffnung. Im ersten Film agiert die junge, schöne, ausdrucksstarke Schauspielerin Amila Terzimehic, die auch eine tänzerische Ausbildung hat. Sie rennt um ihr Leben, immer in Gegenbewegung zur Drehbühne.

In der Videomontage wurde die Technik des schnellen Schnitts angewendet. Dadurch wirken ihre Bewegungen wie Zeichen der Verzweiflung. Der Betrachter weiß nicht, ob sie auf der Stelle tritt oder in einer fernen Zukunft doch noch an ihr Ziel kommt. Der Komponist Vuletic unterlegt der Schauspielerin unterschiedliche Rhythmen zum Laufen, Atmen und Rascheln des Outfits. Was bleibt, ist das Close up eines Menschen, der sich nicht unterkriegen lassen will.

In einem weiteren Film, mit dem Titel „Das Gebäude“, spricht der technische Leiter des Theaters, Zoran Glogovac, von seinem Leben mit dem Haus aus den 1970er Jahren. Eine rührende Verbindung zur großen Utopie des Walter Gropius vom Totaltheater wird deutlich, auf dass die Grenzen zwischen Bühne und Publikum verwischt werden. Ein grandioser Bogen vom Bauhaus-Jahr zur Hoffnung in der Gegenwart, die zerbrochenen Träume doch noch zu retten. Vuletic erzeugt für jeden Raum des Theaters einen eigenen Sound, während die Stimme des Theatermanns erklingt.