Asche, Blei und Diamanten: Anselm Kiefer in London

London (dpa) - Asche, Blei, Ton und Stroh sind sein Material - Geschichte, Holocaust, Poesie und Alchemie seine Themen. In einer großen Retrospektive beleuchtet die Royal Academy (RA) in London das „Gesamtkunstwerk“ von Anselm Kiefer über mehr als vier Jahrzehnte.

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„Es ärgert mich, wenn Kiefer als ein Künstler betrachtet wird, der sich ausschließlich mit dem Dritten Reich befasst. Er ist viel mehr. Es ist höchste Zeit, sein Werk aus der Gegenwarts-Perspektive zu betrachten“, sagte Kuratorin und Ausstellungsdirektorin Kathleen Soriano der dpa.

Der 69-jährige in Frankreich lebende Künstler ist Ehrenmitglied der Royal Academy of Arts. Nach dem Bildhauer Anish Kapoor und dem britischen Maler David Hockney wird Kiefer die seltene Ehre zuteil, noch zu Lebzeiten mit einer Solo-Schau geehrt zu werden. Die Ausstellung „Anselm Kiefer“ läuft vom 27. September bis zum 14. Dezember.

Schon vor dem Eingang wird der Besucher im Innenhof der Royal Academy mit gigantischer Kiefer-Symbolik konfrontiert. Angerostete U-Boot-Modelle baumeln in einer riesigen Glasvitrine. Die Installation „Schicksale der Völker“ soll an die Regelmäßigkeit - und wohl auch Sinnlosigkeit - historischer Seeschlachten erinnern. Weiter geht es mit der ebenfalls neu geschaffenen Installation „Die Sprache der Vögel“, auf der ein Riesenadler über einem Stoß bleierner Bücher schwebt.

„Kiefer ist nicht geschmackvoll, er erzählt Geschichte bewusst schonungslos“, schrieb der „Guardian“. Die Ausstellung sei eine aufregende „Achterbahn der Gefühle.“ Wie kein anderer habe Kiefer den Mut gezeigt, sich mit der Last der Geschichte und dem Dunkel der Vergangenheit moralisch auseinanderzusetzen.

„Alles und Jedes ist vollgestopft mit Bedeutung“, sagte Soriano über Kiefers Werk. Der Künstler wolle die „Spannungsfelder zwischen Gut und Böse, Himmel und Erde, Chaos und Ordnung“ ausloten. Mit der Direktheit seiner oft als provokativ geltenden Kunst habe er das positive Erbe der deutschen Kultur für die Nachkriegsgeneration reklamieren wollen, ohne die Vergangenheit zu verleugnen.

Die chronologisch angeordnete Ausstellung, mit vielen Leihgaben aus Privatkollektionen, führt von der ehemals heiß umstrittenen „Heroischen Sinnbild“-Serie über die mythisch-inspirierten sogenannten Dachbodengemälde („Vater, Sohn, Heiliger Geist“) der 1970er Jahre zu Monumentalwerken wie „Aschenblume“, „Die Orden der Nacht“ und „Schwarze Flocken“. Die für die Ausstellung von Kiefer vor Ort geschaffene Installation „Die Endzeitalter“, ein großer Müllhaufen aus unvollendeten Leinwänden, Putz und bleiernen Sonnenblumen, beherrscht den zentralen Tribüne-Saal. Neu für Kiefer ist auch die Verwendung von Diamanten als funkelnde Sterne auf dem Paul Celan gewidmeten Werk „Halme der Nacht.“

Eigens für die Londoner Schau schuf Kiefer eine Serie von „Morgenthau“-Bildern, so benannt nach dem Plan des früheren US-Finanzministers Henry Morgenthau, Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in ein Agrarland zu verwandeln. In ihnen wendet Kiefer entgegen seiner üblichen monoton-dunklen Farben kräftige Töne an. Die Ähren seiner wogenden Weizenfelder sind mit glitzerndem Blattgold verziert. Die Kuratoren sehen darin nicht nur eine starke Anlehnung an Vincent van Gogh, sondern auch das Anliegen Kiefers - vielleicht mit einem Hauch von Ironie - zu zeigen, wie schön Landschaft sein kann. Besucher verlassen die Ausstellung durch die Installation „Der Rhein“, eine künstlerische Wanderung durch die Geschichte des Grenzflusses zwischen Deutschland und Frankreich - jener Region, aus der der 1945 in Donaueschingen geborene Künstler stammt.