Außenseiter und Pionier der Kunst - Schwitters in England
Hannover (dpa) - In Künstlerkreisen wird Kurt Schwitters verehrt, beim breiten Publikum ist der Avantgarde-Künstler weniger bekannt. Das mag daran liegen, dass seine Kunst so vielfältig und wohl auch sperriger ist als beispielsweise die bunten Bilder der Expressionisten.
Eine Ausstellung im Sprengel Museum Hannover präsentiert jetzt das lange unterschätzte Spätwerk des gebürtigen Hannoveraners, der 1937 aus Nazi-Deutschland nach Norwegen und drei Jahre später nach England flüchtete, wo er als deutscher Staatsbürger zunächst in einem Lager leben musste.
Zu sehen sind rund 150 Arbeiten aus der Zeit von 1937 bis zu Schwitters' frühem Tod Anfang 1948. Sie machen die künstlerische Freiheit des Malers, Literaten und Happening-Künstlers deutlich: Als Pionier nahm er spätere Strömungen wie Pop Art oder Arte Povera vorweg, etwa wenn er aus Illustrierten und aus auf der Straße gesammeltem Abfall Bilder komponierte. Gleichzeitig betätigte er sich zum Broterwerb als Landschafts- und Porträtmaler im impressionistischen Stil.
Kunstkritiker taten das selten gezeigte Spätwerk bisher vielfach als unbedeutend ab. Für die Macher der Schau „Schwitters in England“, die zuvor in der Tate Britain zu sehen war, läuft Schwitters dagegen trotz widriger Umstände im Exil zur Höchstform auf. Hier bleibt er seinem selbst erfundenen Konzept „Merz“ treu, was besagt, dass alle erdenklichen Materialien für künstlerische Zwecke genutzt werden können - vom Bindfaden, über Bustickets bis hin zu Kinderspielzeug.
Die für ihn typischen Assemblagen werden im Exil düsterer, aggressiver und spiegeln somit die Erfahrung von Flucht, Internierung und den Bombenangriffen auf London wieder. „Die Rohheit, Zerstörung und Verletzbarkeit spürt man in vielen Werken“, sagt Isabel Schulz, Leiterin des Kurt Schwitters Archivs im Sprengel Museum. Hier wird der Nachlass erforscht.
In London ließ sich Schwitters 1941 als mittelloser, aber renommierter Künstler nieder. Die Nazis hatten seine international bekannten Werke als „Entartete Kunst“ diffamiert. Aber auch sein spöttisch-romantisches Gedicht „An Anna Blume“ oder die dadaistische „Ursonate“ waren bereits bekannt. In der Londoner Kunstszene blieb er mit seinem Festhalten an der Abstraktion dennoch ein Außenseiter, wie Kuratorin Karin Orchard beschreibt.
Der letzte Raum der Schau ist Schwitters' Wirken im nordenglischen Lake District gewidmet. Hier integriert er Naturmaterialien wie Muscheln, Steine, Knochen und Holz in seine Arbeiten. Seine Skulpturen lassen erahnen, welch großartiger Bildhauer Schwitters hätte werden können, wenn er nicht schon 1948 im Alter von nur 63 Jahren gestorben wäre. Im Lake District hatte er noch versucht, in einer Scheune eine letzte große Raumskulptur zu errichten. Sein Merzbau in Hannover, der als erste Installation überhaupt gilt, war bei einem Bombenangriff der Alliierten 1943 zerstört worden.