Ausstellung „Vor dem Gesetz“: Die planmäßige Ungerechtigkeit
Das Museum Ludwig zeigt die Ausstellung „Vor dem Gesetz“.
Köln. Marino Marinis imposante Bronze eines seltsam empor gereckten Pferdes mit Reiter („Miracolo“, 1953) ist, trotz ihrer Größe, eine anrührende Figuration. Die verletzliche Kreatur, der preisgegebene Leib des großen Tieres wird hier zu einem Sinnbild all der Schrecken, die das Leben bedrohen. Das Kölner Museum Ludwig zeigt eine hochaktuelle Schau, der es gelingt, die Kunst in einen Diskurs über die existentiellen Gefährdungen und universellen Fragen der Menschenrechte zu verstricken: „Vor dem Gesetz“.
Die figurativen Skulpturen der 1950er Jahre wie etwa Henry Moores fallender Krieger („Falling Warrior“, 1956/57), Alberto Giacomettis ausgezehrtes Bein („La jambe“, 1958) oder das wunderbar spinnenbeinige „Krallenwesen“ von Germaine Richier („Le Griffu“, 1952) verkörpern eindringlich die Schrecken, die den Menschen in unmittelbarer Nachkriegszeit noch in den Gliedern stecken.
Die schottische Künstlerin Phyllida Barlow, die gerade den Aachener Kunstpreis 2011 gewonnen hat, erinnert mit ihren Balkon-Skulpturen an die Käfige, in denen Angeklagte an der Stadtmauer aufgehängt wurden, Spott und Gewalt ausgesetzt. Pawel Althamer zeigt mit „Bródno People“ eine aus Müll zusammengebaute Armee, Paul Chans Schattenspiel „Sade for Sade’s sake“, beeindruckte schon 2009 in Venedig auf der Biennale.
Immer wieder tauchen Mauern auf, Zäune, Wände, Grenzen als Motiv. Die Diskriminierungs- und Ausschlussmechanismen unserer globalisierten Welt finden bei Andreas Siekmann eine überzeugende, sich allerdings erst bei längerer Betrachtung entfaltende, Gestalt. Die Wanderarbeiter in der großen Installation „Dante und Vergil gehen durch die Welt“ (2011) sind jene rechtlosen Arbeiter, die auch heute, in aufgeklärten Zeiten, meist draußen bleiben müssen.
Gedanklicher und titelgebender Ausgangspunkt für den durchaus moralischen Ansatz dieser Ausstellung ist Franz Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“. Schon in der Erzählung geht es um planmäßige Ungerechtigkeit, Demütigung und um die Machtlosigkeit des Individuums gegenüber dem Staat und seinem Rechtsregime. Nun ist es die Rolle der bildenden Kunst, auf Missstände hinzuweisen.
„Die Errungenschaften unserer Zeit “, so formuliert es Museumsdirektor Kasper König, „müssen wir uns jeden Tag aufs Neue vor Augen führen.“ Für den in einem Jahr scheidenden Direktor sei diese Ausstellung vor allem ein „Plädoyer für die Notwendigkeit der Existenz eines Museums“.
„Vor dem Gesetz“ ab Samstag bis zum 22. April 2012 im Kölner Museum Ludwig zu sehen, Heinrich-Böll-Platz.