Doppel-Ausstellung Bildhauer Erwin Wurm: Müllberge und gigantische Pullover
Duisburg (dpa) - Auf einem Sockel vor dem Museum Küppersmühle am Duisburger Innenhafen ragt ein überdimensionierter grellorangener „Boxhandschuh“ in den Himmel.
Dort, wo der kleine und der Ringfinger wären, ist ein Lkw drübergefahren, Reifenspuren zeugen davon. Welche Geschichte der Bildhauer Erwin Wurm (62) da auch andeutet - plakativ wie hier ist seine Kunst fast immer.
In der Küppersmühle und im nahe gelegenen Lehmbruck Museum zeigt sich das von Freitag an in einer Überblicks-Ausstellung des weltberühmten Österreichers.
Sofort ins Auge fallen im Erdgeschoss der Küppersmühle zwei grellgrün eingestrickte Wände. Einige lächerlich winzige Ärmel und Halslöcher machen klar, dass das einer von Wurms „Wandpullovern“ ist, mehrere Hundert Quadratmeter groß. Wurm hat ihn extra für die Duisburger Schau an einer Maschine in Bangkok stricken lassen.
Im sieben Autominuten entfernten Lehmbruck Museum steht der Betrachter im ebenfalls neuen „Land der Berge“, einer begehbaren Installation aus 55 schwarzen Bronzeklumpen auf Sockeln. Viele davon sind durchsetzt von Werkzeugen und Müll.
„Wenn man durch die Berge geht, findet man viel Müll“, erklärt Wurm trocken. Natürlich geht es dem gesellschaftlich interessierten Bildhauer auch um sein „Vaterland“ - so heißt eine Serie von 36 Bildern mit Kaffeeflecken hinter der Müll-Installation. Braun wie der Wiener Kaffee, braun wie die österreichischen Rechtspopulisten?
Wurm spricht von politischen Verwerfungen in dem Land, das er in diesem Jahr auch auf der Biennale in Venedig vertritt. „Für mich ist es so etwas wie mein Steinbruch, von dem ich Ideen bekomme und an dem ich mich abarbeiten kann.“
Wurm ist nicht nur für seine beißenden, sofort verständlichen Gesellschaftskommentare bekannt. Er treibt auch sein Spiel damit, was eine Skulptur eigentlich ist.
Anschaulich wird das an seinen Ein-Minuten-Skulpturen: Die Betrachter müssen sie nach Wurms schriftlichen Anweisungen selbst realisieren, müssen etwa zu zweit auf einem Podest in einen Pullover schlüpfen. Oder einen Stift zwischen Kopf und Wand klemmen und dabei an einen Philosophen denken.
Das ist auch ein subtiles Machtspiel. Selber gestalten darf der Umsetzende die Skulptur nämlich nicht, sagt der Künstler: „Man kann sie ausführen. Man kann damit auch etwas anderes machen, aber dann ist es keine Skulptur von mir mehr.“
Im Lehmbruck Museum wird Wurm noch minimalistischer - mit „Wortskulpturen“: Schauspieler auf Podesten beschreiben eine Skulptur, das Werk selbst entsteht nur im Kopf des Zuhörers.
Wille und Mut zum Mitspielen sind in dieser Doppelschau mitzubringen. Ganz sicher auch bei Wurms „Trink-Skulpturen“: Die Lehmbruck-Besucher finden vor psychedelischer Erwin-Wurm-Motivtapete unter anderem den „Martin-Kippenberger-Schrank“ vor, einen mit zwei Gläsern und einer Flasche hartem Alkohol beladenen Siebziger-Jahre-Schrank. Dazu gibt es die schriftliche Anweisung, sich zu betrinken, damit sich das Kunstwerk realisiert.
Wurm ist diese körperliche Einbindung des Betrachters wichtig. „Wir sind selbst wandelnde Skulpturen“, sagt er über Menschen, „weil wir ständig unser Volumen verändern.“
Das illustrieren auch mehrere kastenförmige Männerskulpturen und ein fettleibiges Auto. „Erwin Wurm steht für die Untersuchung dessen, was uns umgibt in der Welt“, sagt Küppersmühle-Direktor Walter Smerling.
Die Duisburger Doppelschau läuft im Lehmbruck Museum bis 29. Oktober und in der Küppersmühle bis 3. September.