Blüten der Revolution: Kunst statt Chaos in Tunesien
Karthago (dpa) - Die schwarze Flagge der Salafisten ist mit Jasminblüten bestickt. Jenen Blüten, die der Revolution in Tunesien ihren Namen gaben. „Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet“, steht auf der Flagge.
Die radikalislamischen Salafisten als Blüte der Revolution? Davor graust es der tunesischen Künstlerin Nadia Kaabi-Linke. „Viele Tunesier fühlen sich wegen Übergriffen der Salafisten unsicher. Diese sind zwar eine Minderheit, aber eine gewalttätige Minderheit“, sagt sie.
Zusammen mit mehr als 20 internationalen Künstlern stellt Nadia Kaabi-Linke seit dem Wochenende im Nationalmuseum Karthago bei Tunis aus. Die Schau „Chkoun Ahna“ ist eine der ersten internationalen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst seit der Revolution in Tunesien vor etwa eineinhalb Jahren. Es herrscht Aufbruchstimmung.
Unter dem geschassten Diktator Ben Ali hatten es Künstler schwer. „Vor allem für zeitgenössische Konzeptkunst gab es keinen Platz“, sagt Kuratorin Khadija Hamdi. Im Vergleich zu anderen arabischen Ländern wie Ägypten, Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten habe Tunesien keine ausgeprägte Kunstszene und auch keinen Kunstmarkt.
Das soll die Veranstaltungsreihe „Carthage Contemporary“, unter deren Dach die Ausstellung bis 15. Juni läuft, ändern. Es gibt Künstler-Diskussionen und ein Gallery-Weekend. Was in London, Berlin und New York zum Kunstalltag gehört, habe es in Tunesien bisher nicht gegeben, sagt Kurator Timo Kaabi-Linke, der mit seiner Frau Nadia normalerweise in Berlin lebt.
Die Ausstellung läuft im Nationalmuseum Karthago, dessen archäologische Grabungen eine der größten Touristenattraktionen Tunesiens ist und auch Welterbestätte der Unesco. Ist es ein Zeichen für neue Offenheit, dass die Regierung an der historischen Stätte eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst genehmigt? Oder ist es eher bezeichnend für das Kulturverständnis, dass die Kuratoren den Museumsflügel selbst renovieren müssen - mit privaten Geldern?
Die Unterstützung der Behörden hielt sich jedenfalls in Grenzen. Nur das Tourismusministerium zeigte Interesse an der Ausstellung und schoss ein wenig Geld zu. „Es sucht nach einer Alternative zum billigen Massentourismus und setzt dabei auf verträglicheren Kulturtourismus“, meint Timo Kaabi-Linke. Tunesien soll nicht mehr mit politischen Unruhen in Verbindung gebracht werden, sonst bleiben die Touristen fern. Schlagzeilen über Salafisten, die unter Ben Ali verboten waren und nun auch Künstler und Intellektuelle einschüchtern, machen sich da nicht gut. Die Jasminblüten auf der Salafisten-Flagge jedenfalls werden im Laufe der Ausstellung verwelken.
„Wer sind wir“ oder „Über uns“, so lautet der Titel der Schau. Nach den Umwälzungen in Tunesien steht für die Kuratoren die Identitätsfrage im Vordergrund. Eingeladen sind Künstler aus Tunesien und Länder, die eine historische Verbindung zu dem Land haben - was sehr weit interpretierbar ist.
Der Franzose Saâdane Afif zeigt zum Beispiel Hemden, die zu einer französischen Flagge verschmelzen. Der Deutsch-Iraner Timo Nasseri zeigt in einer Wandzeichnung ein filigranes mathematisches Liniengeflecht, das arabisch-islamische Ornamentik in westliche Formensprache transkribiert. Und der Künstler Boris Kajmak hat die Türschwelle am Museumseingang mit einer verzierten Aluminiumplatte verkleidet, in die sich die Spuren der Besucher eindrücken.
Die Resonanz auf ihr Projekt sei im Allgemeinen sehr gut, sagt Timo Kaabi-Linke. „Ich glaube, man möchte jetzt konstruktive Kulturarbeit in Tunesien sehen und hören, anstatt die immer gleichen Chaosbilder in den Medien.“