Brisante Kunst - Absage für Gregor Schneider
Duisburg (dpa) - Gregor Schneider macht keine bequeme und schon gar nicht leichte Kunst. Der Künstler aus Mönchengladbach, der international Erfolge feiert, baut in Museen beklemmende Räume und labyrinthische Röhrensysteme ein.
Verstörend ist die Enge, beunruhigend sind die Einblicke, die der Besucher der Räume des Münchner Kunstprofessors bekommt.
Manchmal ist es wirklich zum Fürchten, wie zum Beispiel das „Kinderzimmer“, das derzeit im Untergeschoss des K21 Ständehauses der Kunstsammlung NRW zu sehen ist. Das Zimmer mit niedriger Decke, rosa gestrichenen Wänden und rosa Matratze ist nur durch ein Abflussrohr von 1,60 Meter Durchmesser zu betreten. Man denkt sofort an Josef Fritzl, der seine Tochter jahrelang in einem Keller gefangen hielt.
Die Räume des 45-jährigen Schneider, der 2001 den Goldenen Löwen der Biennale in Venedig gewann, sind immer politisch brisant, und seine Kunst bohrt sich in die wundesten Punkte der Gesellschaft, auch wenn der zurückhaltende Künstler das so offen wohl nicht sagen würde. Der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link (SPD) hat jetzt kurzfristig Schneiders neues Projekt „Totlast“ gestoppt, das in das Lehmbruck Museum eingebaut werden sollte.
Seit sieben Monaten arbeitet Schneider bereits an dem Tunnelsystem, hatte die Pläne und Modelle der Stadt vorgestellt und baurechtliche Genehmigungen dafür bekommen. Doch Duisburg ist die Stadt der Loveparade-Katastrophe, bei der 21 Menschen 2010 zu Tode gedrückt wurden, weil die Zugänge für die Menschenmassen zu eng waren.
Weil die „Wunden der Loveparade noch nicht geschlossen sind“, sagte Link das Kunstwerk aus begehbaren Röhren ab und löste damit einen Sturm der Entrüstung in der Kunstszene aus, die traditionell auf die Freiheit der Kunst pocht. Ruhrtriennale-Intendant Heiner Goebbels sprach von „Zensur“.
„Dass ein Oberbürgermeister alleine die Interpretationshoheit für ein Kunstwerk beansprucht und entscheidet, ob es in eine Stadt passt oder nicht, ist nicht akzeptabel“, sagte Goebbels. Auch Schneider meint, dass Link als Kuratoriumsvorsitzender des Lehmbruck Museums nicht „Politik gegen Kultur“ machen dürfe. Außerdem gebe es für Links Entscheidung keinen Mehrheitsbeschluss.
An „schwierige Orte“ zu gehen, ist für Schneider eine „künstlerische Herausforderung“. Auch wenn er betont, dass „Totlast“ als Fachbegriff aus der Verkehrswirtschaft für das Eigengewicht von Transportfahrzeugen stehe, so ist doch die Bedeutung des Wortes gerade in Duisburg auch als Anspielung auf die Loveparade zu verstehen, die auf der Stadt lastet.
Bei einem anderen aktuellen Kunstprojekt spielt Schneider auf die deutsche Erinnerungskultur an. Erst vor einigen Tagen wurde sein Projekt „Hauptstraße 85 a“ für die Synagoge Stommeln in Pulheim bei Köln „enthüllt“. Schneider ließ das jüdische Bethaus, das als eine der ganz wenigen Synagogen während der Nazi-Pogrome 1938 nicht zerstört wurde, hinter einer eintönigen typisch deutschen Wohnhausfassade komplett verschwinden. Erst nach einiger Zeit erkennt man, dass es bei dem „Haus“ nicht mit rechten Dingen zugeht.
Das Verschwinden der Synagoge hinter der Fassade der Normalität trifft den Betrachter wie ein Schock, denn „es könnte so erscheinen, als würde Schneider das unsägliche Werk der Nazis zu Ende bringen“, sagte der Kurator Ulrich Loock bei der Eröffnung. Noch dazu ist die Tür zur Synagoge nun verschlossen, so dass man förmlich gezwungen wird, sich mit der Verdrängung des Holocausts in vielen deutschen Haushalten zu beschäftigen.
In der Halle Kalk des Kölner Schauspielhauses ist derzeit ein alptraumhafter Badezimmer-Irrgarten Schneiders zu begehen, bei dem die Türen hinter dem Besucher ins Schloss fallen. Für Duisburg hatte sich Schneider eigentlich ein Happy End ausgedacht: Der Besucher sollte am Ende des Röhrenparcours im Park des Museums landen.
Schneider hat in seiner Heimatstadt Rheydt bei Mönchengladbach mittlerweile ein Lager mit 120 Räumen. Sein Traum: „Daraus könnte man ein Museum der Räume bauen.“