Ein Kunstführer mit Mut zur Lücke
Will Gompertz hat sich auf 447 Seiten moderne Kunst vorgeknöpft. Der Band macht Lust auf Museen — selbst wenn ein bisschen was fehlt.
Berlin. Es ist merkwürdig: Museen melden immer neue Rekorde, Blockbuster-Ausstellungen sorgen für Schlagzeilen, das Interesse nicht nur an alten Meistern, sondern auch an neuer Kunst scheint riesig zu sein.
Gleichzeitig gilt die Moderne von Kandinski bis Beuys für viele immer noch als Buch mit sieben Siegeln, eine fremde Welt, die nach eigenen Gesetzen zu funktionieren scheint.
Der Brite Will Gompertz (47) möchte Licht in dieses Dunkel bringen. Mit seinem erfrischend unakademischen Sachbuch „Was gibt’s zu sehen — 150 Jahre moderne Kunst auf einen Blick“ nimmt der Journalist und langjährige Media-Direktor der Tate Gallery seine Leser mit auf eine Reise in eine faszinierende Welt.
Natürlich kann Gompertz auf gut 400 Seiten nicht alle Kunstrichtungen vom Prä-Impressionismus um 1850 bis zur Gegenwart umfassend darstellen. Aber er gibt einen guten Überblick, betont seine Subjektivität, schreibt unterhaltsam und überzeugt mit fundierten Bildanalysen. Gompertz sieht sich selbst als eine Art undogmatischen Missionar für die Kunst.
Manchmal formuliert er einfach nur flapsig: Da bezeichnet er den Dichter Charles Baudelaire als „intellektuelles Maskottchen“ der Impressionisten. Daneben finden sich Analysen zur Revolution in der Malerei um 1870, als die Künstler ihre Ateliers verließen und die Außenwelt entdeckten.
Den vielgedeuteten Vincent van Gogh stellt er in eine erhellende Reihe mit dem Renaissancemaler El Greco und dem Spätexpressionisten Francis Bacon. Das Kapitel zu Cézanne ist umfangreich und mit Herzblut geschrieben, auch Picasso wird gewürdigt oder der Außenseiter Henri Rousseau, aber zum deutschen Expressionismus findet sich so gut wie nichts.
Gompertz hat Mut zur Lücke, sein Abschlusskapitel zur Gegenwartskunst beschränkt sich auf einige wenige Künstler wie Jeff Koons oder Damien Hirst, die zugleich geniale Vermarktungsgenies sind. Kunst sei heute vor allem eine Ware, stellt Gompertz ein wenig resigniert fest.
Der Markt bestimme den Stellenwert der Künstler. Dass es sich trotzdem lohnt, die Bilder in den Museen der Welt immer wieder neu zu entdecken, beweist sein Buch, dem noch ein schöner „U-Bahn“-Plan mit allen wichtigen Stationen der Moderne beigefügt ist.