Geschmacks-Sachen in Baden-Baden

Baden-Baden (dpa) - Auf den ersten Blick könnte es auch Haute Couture sein. Doch der zweite offenbart: Das aufwendig verarbeitete Kleid ist mit zerbrochenen Eierschalen bestückt. Und aus den Löchern eines Netzhemdes lugen Zigarettenkippen.

Auf einem kleinen Podestchen thront wie ein Schmuckstück ein golden-drahtiges Gebilde. Präsentiert wie eine Preziose beim Juwelier entpuppt es sich als ein ganz gewöhnlicher Topfschwamm.

Die Ausstellung „Geschmack - der gute, der schlechte und der wirklich teure“ führt in die Irre, stellt eine Menge Fragen und beantwortet keine. Johan Holten, der neue Leiter der Kunsthalle Baden-Baden, zeigt in seiner ersten Schau für das Haus Facetten von Wahrnehmungen und Funktionen des Geschmacks.

Gleich am Anfang wird der Betrachter konfrontiert mit dem Chaos verschiedenster Geschmacks-Ikonen: Der in Shanghai geborene Zhou Tiehai vermalt einen Wirrwarr von Motiven auf 159 kleinformatigen Ölbildern, eine Bruegel nachempfundene Szene hängt neben einem französischen Werbeschildchen, ein Stück Schokoladenkuchen nicht weit von einer Comicszene.

Alles irgendwie schon dagewesen, alles durcheinander. „Die Hängung ist beliebig“, sagt Holten. Der Geschmackscocktail und die Wahllosigkeit seiner Zutaten weicht die gängigen Vorstellungen vom guten und vom schlechten Geschmack auf. Im Bild „Weideglück“ von Anselm Reyle wird das banale Motiv, ein in Malen-nach-Zahlen-Manier gefertigtes Pferd, erst durch die aufwendige Herstellung zum Kunstwerk.

Der Besucher wandert weiter in den „altmodischen Raum“, an grünen Wänden hängt rund ein Dutzend Landschaftsgemälde aus dem 18. Jahrhundert. „Das war eine Zeit, in der Kunst geschmacksbildend war“, erklärt Holten. Gute Kunst war Bildung, Überhöhung oder der kindliche Glaube an Heilung, gar Läuterung des Menschen durch die Kunst. Der Architekt Constant bringt diesen Wunsch nach einem besseren Leben in seinen Zeichnungen für das utopische Stadtprojekt „New Babylon“ zu Papier.

„Spätestens mit der Pop-Art“ - der Besucher ist inzwischen in Raum fünf von neun - „war damit Schluss“, erläutert Holten. Der Künstler Richard Hamilton, zwei Bilder von ihm sind in der Schau, kommentiert ironisch Produktwelten und „präzisiert den Geschmack, ohne zu sagen, wohin die Reise geht“. Entlarvend schließlich ein Werk von Josephine Meckseper, die das Symbol Hammer und Sichel wie eine Kostbarkeit auf einem Spiegelwürfel positioniert: Dort liegen die Werkzeuge gefällig, ihrer politischen Bedeutung entkleidet. Der Betrachter spiegelt sich gleich mit in der immergleichen Frage „Bin ich schön?“.

Eine ironische Zuspitzung erfährt das Thema Geschmack in den letzten beiden Räumen mit den rund grotesken 50 Mode-Kreationen John Bocks. „Wenn es immer nur um das Neuste geht, artet das ins Absurde aus“, bilanziert Holten. Über Geschmack lässt sich eben streiten. Oder eben nicht.