Nachruf Hilla Becher: Die Lady mit dem glasklaren Blick
Hilla Becher, Gründerin der Becher-Schule für Fotografie, starb mit 81.
Düsseldorf. Vor elf Tagen nahm Hilla Becher noch an der Beerdigungsfeier für ihre Galeristin Dorothee Fischer teil, im Rollstuhl, aber frohen Mutes. Der Rücken schmerzte nicht mehr so sehr. Der rote Bulli stand fahrbereit vor ihrem Wohnhaus im Düsseldorfer Vorort Kaiserswerth. Mit diesem VW Kombi, Autokennzeichen BB 4000, anno 1994, zog sie einst mit ihrem Mann Bernd Becher durch die Welt, die Leiter im Kofferraum, die Großbildkameras daneben. Bis zuletzt war sie neugierig, aufgeschlossen für die Arbeit der Kollegen. Am 10. Oktober ist sie sanft in einem Krankenhaus eingeschlafen. Sie wurde 81 Jahre alt.
Hilla, geborene Wobeser, kam aus Potsdam. Sie war die gelernte Fotografin, nicht ihr Mann. Sie nahm im Fotoatelier des Klassikers Walter Eichgrün die Schlösser von Sanssouci in den Fokus. Sie wurde Luftbildfotografin in Hamburg und die erste Studentin, die sich an der Kunstakademie Düsseldorf mit Fotos bewarb. Sie richtete die erste Fotowerkstatt ein. Und sie hat wie selbstverständlich im Atelier weiter gearbeitet, als Bernd 2007 starb. Hilla & Bernd, das war eine eingeschworene Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Sie hat bis zuletzt in ihrem und in seinem Namen die Fotos signiert.
Als Hilla und Bernd in den 1960er Jahren fotografierten, waren sie arm wie Kirchenmäuse und überlegten sich, ob sie Butter kaufen oder ein Bild abziehen lassen sollten, weil das Material so teuer war. Die Armut und der Purismus im Stil lagen dicht beieinander. Die Knipserei der heutigen Generation war nicht ihre Sache. Glasklar sind diese Bilder, fast wie Wachträume. Sie reflektieren die Geschichte der Industrie-Kultur. Als sie 2004 ihre Bilder in die Kunstsammlung im Großformat hängten, wirkte die Schau wie ein Gang durch ein Heiligtum.
Hilla war nie nur die Frau ihres Mannes. Auch nach seinem Tod ging sie unerbittlich ihrer Fotopassion nach. Im Jahr 2010 stellte sie erstmals in Bottrop allein aus. Da holte sie ihre eigenen Aufnahmen hervor. Sie zeigte Kompositionen einer Hochofenanlage fast wie aus dem Flugzeug fotografiert. Derartige Überblicke hätte sie früher nie präsentiert, denn Bernd liebte die Industrieanlage in skulpturalen Einzelbauten. Sie aber verglich nun plötzlich ihre Aufnahmen mit der klassischen Landschaftsmalerei von Caspar David Friedrich.
Aus diesem Zweier-Team ging die Becher-Schule hervor, mit Andreas Gursky, Candida Höfer, Thomas Ruff und Thomas Struth. Was die Bechers an die jüngere Generation vermittelten, war der untrügliche Blick. Mit diesem Blick sahen sie stets in die Welt.