Kunst und Kotau - „Aufklärung“ in China gesucht
Peking (dpa) - Wer die „Aufklärung am Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking finden will, muss lange suchen. „Da hinten um die Ecke und dann in den zweiten Stock“, zeigt die freundliche Dame an der Information des pompösen Nationalmuseums, als wenn sie es genau wüsste.
Wegweiser gibt es nur für das antike China und die Propagandaschau „Der Weg der Wiederauferstehung“ des Landes unter der weisen Führung der Kommunistischen Partei. Verloren wirken die Besucher in den gigantischen Hallen des größten Museums der Welt. „In China muss alles riesig sein“, kommentiert eine Besucherin.
Im zweiten Stock herrscht erstmal Ratlosigkeit. Die Dame an der Information am Eingang hatte wohl keine Ahnung. „Was? Aufklärung?“, schüttelt auch ein Museumswärter unwissend den Kopf. Auf Nachfragen geht ihm ein Licht auf: „Ach, die deutsche Ausstellung.“ Ja, die gibt es - aber nicht hier. „Sie müssen wieder runter in die große Halle und die gegenüberliegende Rolltreppe in den ersten Stock nehmen.“ Hier also versteckt sich „Die Kunst der Aufklärung“, das größte und inzwischen auch umstrittenste deutsche Kulturprojekt im Ausland, weitgehend unbemerkt von den Besuchern.
In Deutschland kocht die Kontroverse um die zehn Millionen Euro teure Ausstellung und eine begleitende Gesprächsreihe „Aufklärung im Dialog“ gerade so richtig hoch. Deutschland werde in China „wie ein Vasallenstaat“ vorgeführt, bemängeln Kritiker. Es begann damit, dass China dem beteiligten Schriftsteller und Sinologen Tilman Spengler in Begleitung von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) die Einreise verweigerte. „Kein Freund Chinas“, wurden die Deutschen brüskiert. Von „Affront“ und „Ohrfeige“ war die Rede - das war erst der Anfang.
Kaum war die Ausstellung eröffnet und Westerwelle abgereist, wurde der berühmte chinesische Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei festgenommen. Dass Kunst und Menschenrechte in Chinas Polizeistaat nicht zählen, hätte kaum eindrucksvoller demonstriert werden können. Vor seiner Festnahme hatte sich der 53-Jährige noch laut gewundert, dass die Deutschen ausgerechnet das Museum neben dem Platz des Himmlischen Friedens, dem Schauplatz der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989, ausgesucht hatten. Gerade jetzt, wo die Repression einen neuen Höhepunkt erreicht habe.
Kritiker in Deutschland werfen den Organisatoren einen „Kotau“ vor, fordern die Schließung der Ausstellung, die in China selbst aber wenig Beachtung findet. Zwar stehen am Morgen einige tausend Menschen geschlängelt über hunderte Meter vor dem Museumskoloss an - aber nicht für die „Aufklärung“. Während der Eintritt umsonst ist, kostet der Zugang zur deutschen Ausstellung 30 Yuan, umgerechnet 3,20 Euro. Dafür lässt sich auf Pekings Straßen mehrmals zu Mittag essen. „Nur wenige wollen bezahlen“, sagt die Frau an der Kasse.
Die drei Hallen mit den 600 Exponaten der großen Staatsmuseen Berlin, Dresden und München sind weitgehend leer. Nur drei bis vier Dutzend Besucher lassen sich zählen. Gezeigt werden berühmte Gemälde des 18. Jahrhunderts, Möbelstücke, Kleider oder wissenschaftliche Geräte. Während das kostspielige Kulturprojekt in Deutschland auch mit der aufklärerischen Botschaft freiheitlicher Werte gerechtfertigt wurde, erscheint die Werkschau völlig politikfrei. „Sehr chinesisch, gute Qualität“, kommentiert eine junge Chinesin eine rote Herrenjacke mit Stehkragen aus England von 1770.
Auf die Frage, ob er politische Botschaften erkennen könne, reagiert ein junger Chinese verwirrt: „Ich verstehe nichts von Aufklärung.“ Die im Vorfeld viel gerühmten „Medienstationen“ mit berührungsempfindlichen Bildschirmen, die Besuchern den geistigen Aufbruch Europas erklären sollen, stehen in Einzelteilen am Rand, sind noch nicht zusammengebaut. Am Eingang zeigt nur einer schon sein Menü. „Das Programm stockt“, erklärt ein Mitarbeiter.
„Ich habe über die Aufklärung gelesen, aber verstehe sie nicht wirklich“, verrät Zhuang Chengheng, selbst Mitarbeiter eines Museums in Shenzhen. Aber künstlerisch ist er begeistert. „Die Ausstellung ist sehr gut.“ „Wunderbar“ schwärmt auch eine Chinesin über die Bilder zu „Liebe und Gefühl“. Wo der Einfluss der griechischen Antike aufgezeigt wird, telefoniert ein Chinese laut mit dem Handy und gestikuliert. Gedankenverloren klatscht er im Vorbeigehen dem „Jüngling“, der Nachbildung eines antiken Torsos, fast väterlich auf den Hintern. Da wird selbst ein Museumswärter wach und schreitet ein. „Macht doch nichts“, sagt der Mann, telefoniert weiter.