Runder Geburtstag Markus Lüpertz: Freigeist mit Hang zur guten Klamotte
Seine Kunst wird oft als Ärgernis wahrgenommen, seine Auftritte sind legendär. Am 25. April wird Lüpertz 75 — ob Düsseldorf gratuliert?
Düsseldorf. Nein, eine Liebesbeziehung ist es nicht, und viel Hoffnung besteht nicht, dass sich das gründlich zerrüttete Verhältnis eines Tages noch mal verbessern wird. „Düsseldorf hasst mich!“ Das sagt Markus Lüpertz, und man hat nicht eine Sekunde lang das Gefühl, dass der Mann damit ganz falsch liegen könnte. Freilich darf man auch annehmen, dass er die Stadt, die sich allzugern mit dem Zusatz Metropole und noch viel lieber mit Kunstmetropole versieht, ebenfalls nicht übermäßig wertschätzt.
Fast 20 Jahre, von 1988 bis 2009, ist der Maler, Bildhauer, Musiker, Dichter und Hobbyfußballer Rektor der hiesigen Kunstakademie — Zeit genug also, sich kennen und hassen zu lernen. Als Chef des renommierten Hauses ist Lüpertz ebenso geachtet wie gefürchtet und das nicht nur bei seinen Studenten. Professor Lüpertz redet eben gern Klartext.
Besonders dann, wenn es Zweifel an seinen Arbeiten gibt. Das passiert gelegentlich, vor allem dann, wenn die Bilder oder Skulpturen für den öffentlichen Raum gedacht sind. In Augsburg etwa sorgt im Jahr 2000 Lüpertz’ eigenwillige Interpretation der Aphrodite für Zank. Die Göttin der Liebe und Schönheit sollte ursprünglich als überlebensgroße Bronze auf dem zentralen Ulrichsplatz ein angemessenes Plätzchen finden, im Rathaus tut man zunächst begeistert — bis die Einwohner der Stadt sich als übereifrige Bilderstürmer hervortun und gegen die — zugegeben — ziemlich pummelig geratene Figur anstänkern.
Am Ende verhindern Volkszorn und ein ad hoc gegründeter Bürgerverein die Aphrodite an dieser Stelle. Heute steht die ungeliebte 500 000-Euro-Göttin versteckt im Hof eines Medienunternehmens. Bei einer Diskussion über die Skulptur soll ihr streitbarer Schöpfer sogar handgreiflich geworden sein, die Angaben schwanken zwischen Ohrfeige und Kinnhaken, zumindest ist er deswegen verklagt worden. Nach eigenen Angaben ist Lüpertz zuvor schon einmal wegen seines robusten Körpereinsatzes auffällig geworden. Nach einem Semester an der Düsseldorfer Akademie sei er 1961 exmatrikuliert worden — wegen einer Schlägerei.
Zwar weniger rustikal, aber nicht viel besser ergeht es Lüpertz in Salzburg. In der stolzen Mozartstadt kommt seine knapp drei Meter hohe Skulptur des Komponisten nicht gut an, es hagelt Widerspruch und Proteste. „Der Skandal steht der Vollendung im Weg“, befindet Lüpertz bei der Vorstellung seiner Skulptur. „Ich bin an Vollendung interessiert.“ Zwei Monate später, im August 2005, wird das Werk des nächtens von dogmatischen Banausen vollendet — nämlich geteert und gefedert. Lüpertz („Ich bin Maler, der auch Skulpturen macht.“) hatte es gewagt, das Wunderkind Wolferl einarmig und mit knubbeligem Frauentorso abzubilden.
Lüpertz’ 18 Meter hohe, in der Düsseldorfer Kunstgießerei Schmäke hergestellte Herkules-Skulptur, die seit fünf Jahren über der ehemaligen Zeche Nordstern in Gelsenkirchen thront, entspricht mit nur einem Arm, aber dem übergroß ausgefallenen Kopf ebenfalls nicht zwingend den klassischen Schönheitsidealen. Noch ist die Plastik mit den blauen Haaren und Rauschebart aber unversehrt.
Im Ruhrgebiet, im Duisburger Museum Küppersmühle, ist auch Lüpertz’ jüngste Ausstellung „Kunst, die im Wege steht“ zu sehen (siehe Info-Kasten). Land und Leute kennt Lüpertz, seit er 1948 als Siebenjähriger mit seiner Familie aus seiner böhmischen Geburtsstadt Liberec, dem früheren Reichenberg, nach Mönchengladbach flüchtet. In Krefeld besucht er die Werkkunstschule bei Laurens Goosens, heuert bei der Fremdenlegion an, aus der er sich bald absetzt und malocht ein Jahr unter Tage.
1962 macht er dann, was man als freischaffender Künstler in Deutschland eben macht — Lüpertz verlegt sich ins frisch geteilte Berlin und beginnt mit der sogenannten dithyrambischen Malerei. Sieben Jahre später schreibt er in seinem „Dithyrambischen Manifest“: „Die Anmut des 20. Jahrhunderts wird durch die von mir erfundene Dithyrambe sichtbar gemacht.“ In der griechischen Antike waren damit hymnische, fast hysterischeuphorische Chorgesänge gemeint, die Friedrich Nietzsche (1844-1900) zu seinem Gedichtzyklus Dionysos-Dithyramben (1889 vollendet) inspirierten.
Lüpertz’ Bilder, denen gern das Adjektiv neoexpressionistisch verpasst wird, provozieren im Idealfall zwar glückstrunkene Begeisterung, gleichzeitig verstören sie aber, stoßen beinahe ab. Rauschhaftes trifft auf Realistisches, vermeintliches Chaos auf den, in den 60ern nicht mehr angesagten strengen Formalismus. Lüpertz’ halbabstraktes, 12,5 Meter langes und aus fünf Teilen bestehendes Bild „Westwall“ (1968), das heute in der Duisburger Küppersmühle hängt, ist dafür ein Paradebeispiel.
Auch für den politischen Künstler Lüpertz, der seine frühen Bilder gern mit Stahlhelmen garniert, die in späteren Werken wie „4 Bilder über den Krieg“ (1992) oder „5 Bilder über den Faschismus“ (1980) ihre Vollendung zu finden scheinen.
Apropos: 2013 macht er an einer Düsseldorfer Kreuzung Bekanntschaft mit einer Radfahrerin, die ihn mit Blick auf die rote Ampel zum Stehenbleiben auffordert. Der Künstler reagiert, wie Künstler reagieren, die Radlerin, eine Polizistin in Freizeitkleidung, wie eine Polizistin in Freizeitkleidung: Sie petzt bei ihren Kollegen, die mit vier Streifenwagen anrücken. „Das ist Faschismus“, urteilt der Maler später über die Handschellen, die ihm die Übermacht in Uniform recht unsanft verpasst hatte.
Ansonsten hat Lüpertz gegen klobiges Metall wenig einzuwenden. Silber-Klunker, Ohrringe und Gehstöcke gehören zum täglichen Outfit wie Maßanzug, Hut und Krawatte — der Mann mit dem Spitzbart attestiert sich „einen Hang zur guten Klamotte“. Veranstaltungen mit Hinweis „Der Künstler ist anwesend“ — wie im Glasmalerei- Museum Linnich — sind stets unterhaltsame, inspirierende und überaus lehrreiche Angelegenheiten. Heute wird Markus Lüpertz 75. „Man kann als Künstler nicht sagen, ich bin fertig."
Was für ein Glücksfall.