Multimedia-Museum: Pariser Supermarkt der Kultur

Vor 30 Jahren wurde das Centre Pompidou eröffnet. Damals angegiftet, ist es heute der Stolz der Seine-Metropole.

<strong>Paris. "Gas-Fabrik", "Raffinerie" oder schlichtweg "Monstrum" - die Schmähungen dieses Gebäudes füllen Bände. Und Richard Rogers (73), der das bunt lackierte Röhren-Haus mitten im alten Pariser Hallen-Viertel mit seinem Architektenkollegen Renzo Piano (Foto, 69) entworfen hatte, erinnert sich heute noch gut an jene ältere Dame, die ihn mit dem Regenschirm verprügelte, als er sich als Architekt des Centre Pompidou offenbarte. Längst freilich hat Paris seinen Frieden mit diesem kolossalen Haus gemacht. Gestern wurde der 30. Geburtstag gefeiert. Aus der Kulturlandschaft der französischen Hauptstadt ist "Beaubourg", das mit seiner Mischung aus Museum, Bibliothek, Kino, Theater und Volkshochschule sowie Musikinstitut und Designzentrum weit mehr als nur ein Haus zum Bildergucken ist, nicht mehr wegzudenken. Längst Geschichte ist die wüste Polemik während der Geburtsphase dieser avantgardistischen Kunst-Kathedrale. Ähnlich hoch waren an der Seine die Wellen der Erregung zuletzt beim Bau des Eiffelturms geschwappt. Hochnäsige Pariser Kritiker blickten abschätzig auf diesen bunten "Supermarkt der Kultur". Doch der Geniestreich der beiden damals noch unbekannten Architekten fand Publikum.

Die kulturelle Wundertüte lockt jährlich Millionen Besucher

180 Millionen Besucher in 30 Jahren sprechen für sich. Zu den großen Rennern gehörten die Dali- und Matisse-Ausstellung, gehörten "Paris-Moskau" und "Paris-Berlin". Jedes Mal, wenn Renzo Piano, später auch der Vater des neuen Potsdamer Platzes in Berlin, an seinem "Centre" vorbeikommt, freut er sich über die Warteschlangen, die sich über die "Piazza" mit ihren Lüftungsschlünden ziehen. Fast 17 000 Besucher kamen 2006 an jedem Öffnungstag.

Ein modernes Multifunktions-Museum, offen für Jedermann, das die Eintrittsschwellen niedrig legt, hatte sich Präsident Georges Pompidou, selbst ein Kenner moderner Kunst, mitten in Paris gewünscht. Die Demokratisierung von Kunst und Kultur war, eine Nachwehe des Mai 1968, Pompidous erklärtes Ziel. Doch der Aufbruchselan währte nicht lange.

Forscher und Konservatoren beharkten sich. Museumsleute murrten, weil sie in den verglasten Räumen ihre Bilder nicht aufhängen konnten. Bibliothekare schimpften, weil sie sich zum Auskunftspersonal für orientierungslose Besucher der frei zugänglichen Bibliothek degradiert sahen. Die Arbeitsatmosphäre in der durchsichtigen Industriearchitektur führte zu Streiks des Personals. Und noch heute ist jeder Museumsdirektor einen Großteil seiner Zeit damit beschäftigt, den sozialen Frieden im Haus mit seinen 1350 Beschäftigten zu sichern.

1997 wurde das Haus für 27 Monate geliftet. Für 130 Millionen Euro wurden 70 000 Quadratmeter Gesamtfläche neu geordnet. Durch den Auszug der Verwaltung wurde mehr Platz geschaffen für die Bestimmung der kulturellen Wundertüte: Europas größte Sammlung moderner Kunst, fast 60 000 Exponate, ist hier versammelt. Nur New Yorks "MoMa" hat mehr vorzuweisen.

Mit dem Umbau aber verschwand der Gründergeist. Zehn Euro kosten Eintritt und Fahrt mit der Plexiglas-Rolltreppe an der Außenfassade zum Panoramablick.. Die simple Cafeteria ist längst ein trendiges Nobel-Restaurant für Genießer mit dicken Brieftaschen. Ständig sucht die Leitung nach Geldquellen. Über zwei Drittel des 104-Millionen-Etats gehen für Personalkosten und Gebäudeunterhalt drauf. Nur 1,5 Millionen Euro bleiben für Zukäufe. Ableger des Kulturzentrums sind für Metz und Shanghai geplant. Der Pariser Kultur-Monolith, wandelt sich zur globalen Marke.