Nervenkitzel: Begehbares Spinnennetz in luftiger Höhe

Düsseldorf (dpa) - Der Atem stockt, und beim Blick in die Tiefe kann einem flau in der Magengrube werden. Es dauert eine Weile, bis sich ein Besucher der „Umlaufbahn“ des Installationskünstlers Tomás Saraceno an die schwindelerregenden Aussichten in 25 Meter Höhe gewöhnt hat.

Auch das Laufen in einer „Wolkenstadt“ des 40-jährigen argentinischen Künstlers will gelernt sein, denn man spaziert auf einem ausladenden schwingenden Stahlseilnetz über dem Abgrund. Solche Netze schützen normalerweise in den Alpen gegen Steinschlag.

Unter der gewaltigen Glaskuppel des denkmalgeschützten Düsseldorfer Ständehauses (K21), der Dependance der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, spannte Saraceno mit einem Team von Architekten, vier Ingenieur- und Statikbüros und einer Spezialfirma seine kühne Netzkonstruktion. „In orbit“ (In der Umlaufbahn) hat der Grenzgänger zwischen Kunst, Architektur und Wissenschaft sein spektakuläres Projekt genannt.

In luftiger Höhe umkreist der Besucher riesige luftgefüllte PVC-Ballons, die wie überdimensionale Seifenblasen aussehen und die drei Ebenen des stählernen „Spinnennetzes“ trennen. Tatsächlich bekommt man eine Ahnung von Schwerelosigkeit, wenn man auf dem Netz über dem Abgrund schwankt und die Ballons wie planetarische Körper umrundet. Für mindestens ein Jahr wird das Netz über der Piazza des Ständehauses gespannt sein. Allerdings rechnet die Kunstsammlung damit, dass nur ein Teil der Besucher wagt, die Konstruktion zu betreten. Wer Höhenangst hat, wird besser am Boden bleiben.

Es ist die bisher größte und technisch komplizierteste Arbeit des in Berlin lebenden Saraceno, was auch die rund zweijährige Verzögerung des Projekts erklärt. 2500 Quadratmeter Sicherheitsnetz breiten sich in drei Ebenen unter der Glaskuppel aus. Bis zuletzt prüften Spezialisten die Statik der tonnenschweren Stahlseile und der bis zu 350 Kilo schweren PVC-Kugeln.

Selten wird bei einer Kunstausstellung in einer Reihe neben dem Kurator auch der technische Leiter genannt. Es ist Bernd Schliephake. „Technik, Inhalt und Ästhetik sind bei diesem Kunstwerk untrennbar miteinander verbunden“, sagt Kunstsammlungschefin Marion Ackermann. Saraceno schaffe mit seinen wagemutigen Konstruktionen zugleich „betörend schöne Bilder im Raum“.

Wer Saracenos Inspiration verstehen will, sollte in einen abgedunkelten und von ihm eingerichteten Nebenraum gehen. Dort weben lebende Spinnen dreidimensionale Mehr-Etagen-Netze. Aus zahllosen Fäden haben die Spinnen einen filigranen Seidenpalast geschaffen, in dem sie buchstäblich miteinander vernetzt sind. Saraceno hält diverse Spinnenarten, um ihr Sozialverhalten und ihre Bauweise als Vorbild für seine Projekte zu studieren.

„Ko-Abhängigkeiten“ nennt Saraceno seine Vorstellung vom künftigen Leben in der Gemeinschaft, und er illustriert das auch mit seinem Stahlnetz. Jeder Besucher spürt die Schritte der anderen, egal wie weit sie entfernt sind. Wer seine anfängliche Angst überwinde und sich auf das Netz traue, werde mit einem Gefühl der Euphorie belohnt, sagt Kuratorin Susanne Meyer-Büser.

Weltweit realisiert Saraceno luftige Netz-Installationen, die seiner Utopie einer schwebenden Wolkenstadt nahekommen. Er knüpft dabei an eine große Tradition von Architektur-Utopien an - mit einem Unterschied, sagt Ackermann: „Er fordert die Verwirklichung ein.“