Ruhrtriennale: Der Zen-Lehrer im Museum
Intendant Willy Decker stellt die Triennale ins Zeichen des Buddhismus und hat seinen persönlichen Meister eingeladen.
Bochum. „Mit Ihnen möchte ich gern mal eine Nacht durchzechen“, lässt mir Zen-Meister Sasaki Gensô über die Übersetzerin ausrichten. Nett — und nebenbei lerne ich eine erste Lektion: Mit Askese hat Zen-Buddhismus schon mal nichts zu tun.
Doch der 63-jährige Japaner ist diesmal nicht zu einem Seminar nach Deutschland gekommen, sondern stellt elf eigens angefertigte Kalligraphien auf der Ruhrtriennale aus. Deren Intendant Willy Decker macht nach dem Judentum (2009) und dem Islam (2010) nun den Buddhismus zum inhaltlichen Zentrum. Er ist selbst Buddhist und verbindet in seiner letzten Saison Spiritualität und Kunst erneut auf vielen Ebenen.
So inszeniert er die Wagner-Oper „Tristan und Isolde“, findet in dieser Liebe im Schwebezustand, im Loslösen von Ort und Zeit ein zentrales Thema des Buddhismus. Decker hat mit dem Regisseur Luc Perceval („Macbeth“ ab 2. September) einen weiteren Buddhisten eingeladen, der sagt: „Eigentlich ist jede Kunstform buddhistisch, weil Kunst immer eine Reflexion auf das Chaos des Lebens ist und versucht, einen Ausweg aus dem Leiden zu finden.“
Decker kuratiert die Ausstellung „Buddhas Spur“ im Kunstmuseum Bochum. Er hat sechs Mönche aus Bhutan eingeladen, die in der Jahrhunderthalle über zwei Wochen ein fünf mal fünf Meter großes Mandala aus geweihtem Sand streuen. Der Opernregisseur hat seinen eigenen Zen-Lehrer Sasaki Gensô eingeladen, der den Titel Rôshi, Meister, trägt.
Das Interesse an seiner Kunst ist enorm. Die heutige Diskussion über die „Suche nach dem Jetzt“, in deren Anschluss seine Kalligraphien entrollt werden, und Sasaki Gensôs Vortrag am Montag sind ausverkauft. „Ich versuche, Willy Deckers Absichten zu berücksichtigen“, sagt der Zen-Meister, der auf einem Sofa im Hotelfoyer entspannt im Lotussitz Platz genommen hat. Auftragsarbeiten ist er gewohnt. Neu ist für ihn, dass seine Werke auf sechs Meter vergrößert werden.
Kalligraphie ist die Kunst, die Schriftzeichen mit einem faustdicken Pinsel in einem Schwung aufs Papier zu bringen und dabei Erkenntnisse über das zugrunde liegende Gedicht einfließen zu lassen. Wie immer im Zen geht es darum, Gegensätze zu verbinden und aufzuheben. Seine Schüler versichern, mit etwas Übung könne man erkennen, welcher Meister in welcher Stimmung eine Kalligraphie geschaffen habe, selbst den Raum, in dem sie entstanden sind, spüre man noch. Das Kalligraphieren selbst erfordert lange Übung: Zehn Jahre braucht es, bis das Ergebnis akzeptabel wird, dann kann man anfangen, seine Fertigkeit zu vervollkommnen.
Ruhe und feine Heiterkeit strahlt Sasaki Gensô aus. Er gehört nicht zu den Zen-Lehrmeistern, die ihre Spiritualität in der Einsamkeit suchen. In Bochum will er in der Ausstellung erlauschen, was die Besucher sagen und so Anregungen für seine nächsten Vorträge gewinnen. Dass viele Menschen in der modernen Gesellschaft Geld und Erfolg nachjagen, findet er weder verwerflich noch grundsätzlich falsch: Man braucht nun mal Geld, um anderen zu helfen.
In Tokio wohnt er in einem kleinen Haus ohne Heizung mitten in der Stadt, die Bücher stapeln sich bis an die Decke. „Sie stützen das Haus bei einem Erdbeben“, lächelt er. Das Lächeln verblasst bei der Frage nach Fukushima: Seine Mutter wohnt nur 80 Kilometer davon entfernt. Doch der Zen-Buddhismus hat auch auf diese Katastrophe eine Antwort: „Es ist ein Ereignis, dem man nicht entfliehen kann. Gleichzeitig bietet es die Möglichkeit zu überlegen, wie Japan in Zukunft seine Energie erzeugen will. Und das wird auch Auswirkungen auf andere Länder haben.“