Spannung und Kritik vor „Schrei“-Auktion
New York (dpa) - Es ist eines der bekanntesten Gemälde der Welt: Die Versteigerung einer Version von Edvard Munchs Meisterwerk „Der Schrei“ am Mittwochabend (Ortszeit; Donnerstag deutscher Zeit) in New York wird mit Spannung erwartet.
Sotheby's gibt für das Bild einen Schätzpreis von 80 Millionen Dollar (60 Millionen Euro) an, bezeichnet den Ausgang aber als „unberechenbar“. Experten halten einen Weltrekord für möglich. Die Auktion erntet aber auch scharfe Gegenworte: Nachfahren des jüdischen Kunstsammlers Hugo Simon kritisieren die Versteigerung von Munchs legendärem Gemälde.
Hugo Simon habe das expressionistische Werk unter Zwang verkauft, ist sich Rafael Cardoso sicher. Der in Brasilien lebende Urenkel des Sammlers sagte der Tageszeitung „Die Welt“: „Wir sind mit dem Verkauf nicht einverstanden.“ Sein Vorfahr sei in der Nazi-Zeit aus Deutschland geflohen und habe das Bild im Exil aus Not verkauft. „Wir meinen, es ist eine wichtige moralische Angelegenheit, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.“ Laut „Welt“ sind Cardoso, seine Mutter und sein Bruder die einzigen lebenden Nachfahren des Sammlers.
Dem jetzigen Eigentümer Petter Olsen wirft Cardoso vor, die Auktion ethischer Bedenken zum Trotz durchzuführen. Ein Angebot von Olsens Anwälten, 250 000 US-Dollar für einen gemeinnützigen Zweck zu spenden, wenn sie der Versteigerung zustimmten, sei in den Augen der Familie ein Zeichen dafür, dass die fragwürdige Herkunft des Werkes bekannt sei.
Von dem 1895 entstandenen Motiv gibt es vier Fassungen, drei davon sind in norwegischem Staatsbesitz. Dem Industriellen Olsen gehört die einzige in Privatbesitz befindliche Version. Sein Vater Thomas hatte vor gut 100 Jahren in Hvitsten bei Vestby in Südnorwegen einen neuen Nachbarn bekommen: Edvard Munch. Das Bild ging durch viele Hände, bevor Thomas es um 1937 erwarb.
Sohn Petter will mit dem Verkauf des Meisterwerkes ein Museum für Munch (1863-1944) bauen. „Ich habe mein ganzes Leben mit diesem Werk gelebt, und seine Kraft und Energie sind mit der Zeit nur noch stärker geworden“, zitierte das Auktionshaus Sotheby's den Sammler. „Jetzt jedoch scheint die Zeit gekommen, dem Rest der Welt die Chance zu geben, dieses bemerkenswerte Werk zu besitzen und zu bewundern.“
Ob der Auktionsrekord - aufgestellt vor zwei Jahren mit 106,5 Millionen Dollar für Picassos „Akt mit grünen Blättern und Büste“ - gebrochen werde, konnte Simon Shaw, Sotheby's Chef der Abteilung für Moderne Kunst, nicht vorhersagen. „Wir sind sehr gespannt.“ Es sind zwar noch teurere Verkäufe bekannt, Jackson Pollocks „No. 5“ kostete vor gut fünf Jahren satte 140 Millionen Dollar. Doch das waren Privatgeschäfte, keine Auktionen.
„Der Schrei“ zeigt eine schreiende, die Hände an den Kopf schlagende Figur auf einem Pier im tiefroten Licht der untergehenden Sonne. Im Hintergrund sind Spaziergänger und Boote auf dem Wasser zu sehen. Es ist in kräftigen expressionistischen Farben gehalten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sei das Bild schon ein Faszinosum gewesen, sagte der Co-Chef der Modernen Kunst bei Sotheby's, David Norman. „Aber dann kamen Zweiter Weltkrieg und Holocaust und mit einem Mal hat die Welt dieses Bild ganz anders gesehen. Es drückte die Gefühle der ganzen Menschheit aus.“