Wo Cinderella stirbt: Banksys Gruselkabinett „Dismaland“

Weston-super-Mare (dpa) - Cinderella hängt tot aus ihrer Kutsche. Das blonde Haar berührt fast den Boden. Ihre Pferde liegen verrenkt vor dem umgekippten Wagen, die zerbrochenen Räder ragen in die Luft.

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Niemand hilft.

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Stattdessen knipst hektisch ein Rudel Paparazzi, die Motorradhelme nach der wilden Verfolgungsjagd noch auf dem Kopf. Hinter ihnen flanieren Touristen und halten die alptraumhafte Szene fasziniert mit ihren Smartphones fest.

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Zum Gruseln: Dismaland - Der düstere Anti-Disneypark
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Wer „Dismaland“ besucht, die jüngste Installation des britischen Künstlers Banksy an der westenglischen Küste, muss sich auf Düsteres und Absurdes einstellen. Ein erbärmlich quietschendes Riesenrad bleibt ständig stehen. Im Kinderkarussell ist ein Pferd an den Beinen aufgehängt, darunter sitzt ein Metzger auf Kisten mit der Aufschrift „Lasagne“, das Messer in der Hand.

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Es gibt schwarze Ballons, auf denen „Ich bin ein Idiot“ steht. Ein Poster erinnert daran, wie viele Menschen in Polizeigewahrsam sterben. In einem Becken tuckern kleine Boote voller Flüchtlinge. Aus Lautsprechern tönt ununterbrochen nervig verzerrte Dudelmusik im Dreiertakt, unterbrochen von quietschenden Ansagen, die vor Grausamkeit, Gewalt und dem Leben allgemein warnen. Was soll das?

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„Im Grunde ist es ein Festival für Kunst, Unterhaltung und Anarchismus für Einsteiger“, erklärt Banksy in einem seiner seltenen Interviews im „Guardian“ - wie immer, ohne seine Anonymität aufzugeben. „Ein Ort, an dem man Gegenkultur einfach und freiverkäuflich bekommt.“ Der Künstler, der für seine meist politische Street Art weltbekannt ist, zeigt in seiner Schau eigene Skulpturen und Werke von knapp 60 Kollegen. Auch Größen wie sein Landsmann Damien Hirst sind dabei.

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Banksy hätte für sein „Dismaland“ keinen besseren Ort wählen können als das ausgediente, halb verfallene ehemalige Freibad aus grauem Beton in Weston-super-Mare, einem kaum weniger trostlosen Küstenstädtchen bei Bristol. Dort war wohl schon lange nicht mehr so viel los wie derzeit, schon vormittags warten Hunderte geduldig auf Einlass. Kein Wunder, dass die Stadt die Schau unterstützt, von der bis zur Eröffnung am vergangenen Wochenende nicht mal die Anwohner etwas ahnten. Sie glaubten, es werde eine Filmkulisse aufgebaut.

Das Publikum ist recht jung. Der Name Banksy zieht. „Dismaland“ bleibt bis zum 27. September geöffnet, Tickets sind online für viele Tage schon gar nicht mehr zu haben. Kurz vor Schluss sollen noch Pussy Riot und Massive Attack auftreten. Auch Familien stehen an, obwohl der Künstler angekündigt hat, dass sein Park für kleine Kinder „ungeeignet“ sei. Ein etwa zehnjähriges Mädchen tippelt ungeduldig und teilt mit, dass sie „danach“ aber ins „richtige Disneyland“ wolle.

Die Bezüge zu Disneys Vergnügungsparks sind überall, vom Namen (dismal heißt auf Deutsch trostlos) bis hin zu einer schäbigen, grauen Schlossfassade, hinter der Cinderella verunglückt ist. Davor sitzt in einem trüben Tümpel eine verzerrte Meerjungfrau Arielle. Die Helfer in pinken Warnwesten tragen Micky-Maus-Ohren, schauen gelangweilt und fahren die Gäste am Eingang an: „Nicht lächeln!“

Die trübselige Stimmung des Personals und der „Attraktionen“ zeigt Wirkung. Die Gesichter der Besucher sind merkwürdig ernst, während sie mit Tischtennisbällen auf Ambosse werfen, auf Dosen schießen mit Gewehren, deren Reichweite viel zu kurz ist, oder chancenlos nach Quietschentchen angeln, die um einen ölverschmierten Pelikan herumdümpeln.

Die Presse ist begeistert von der surrealen Szenerie. „Urkomisch, manchmal erhellend und gelegentlich atemberaubend schockierend“, urteilt der „Guardian“, „zutiefst verunsichernd... aber bizarr unterhaltsam“, schreibt der „Independent“. Und die Besucher?

„Passt schon“, sagt eine Mexikanerin namens Kia auf die Frage, was sie von all dem hält, und bemüht sich, gleichgültig auszusehen wie die Mitarbeiter. „Der Eintritt ist ja billig.“ Ein Ticket kostet drei Pfund, etwa 4,20 Euro. Dann muss Kia doch grinsen, murmelt „es ist toll“ und lässt sich fotografieren neben einer Puppe, die wie im Hitchcock-Thriller von einem Schwarm Vögel überfallen wird.