Wuppertal feiert den „Sturm“
Wuppertal (dpa) - „Tollwütige Pinseleien“, „Gemäldegalerie eines Irrenhauses“, „es lohnt nicht den Besuch“: Vernichtend waren viele Urteile von Zeitungskritikern zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts über die Kunst, die in der Berliner Galerie „Der Sturm“ präsentiert wurde.
Es ging um Kandinsky, Marc, Klee, Kokoschka, Chagall oder Delaunay. 100 Jahre später hängen diese Werke in den bedeutendsten Museen der Welt. Als Wegbereiter der Moderne machte Gründer Herwarth Walden (1878-1941) den „Sturm“ zu einem Brennpunkt der Avantgarde in Europa.
100 Jahre nach der Eröffnung der Galerie im März 1912 lässt das Wuppertaler Von der Heydt-Museum die vibrierende künstlerische Atmosphäre des „Sturm“ wieder aufleben. Rund 200 Werke von Kandinsky, Marc und Macke über Delaunay, Feininger und Chagall bis Schlemmer und Moholy-Nagy trug Kuratorin Antje Birthälmer in deutschen und internationalen Museen von Paris bis Washington sowie bei privaten Sammlern zusammen. Fast alle Arbeiten aus der Schau „Der Sturm - Zentrum der Avantgarde“ (13. März bis 10. Juni) waren zwischen 1912 und 1928 bei Herwarth Walden ausgestellt.
Schon die erste Ausstellung am 12. März 1912 in einer Abrissvilla in der Berliner Tiergartenstraße war mit Werken des „Blauen Reiters“ ein Ereignis. Walden erkannte früh die große Bedeutung Kandinskys. Vom spätimpressionistischen Bild „Helle Luft“ (1901) bis zu abstrakten Improvisationen versammelt die Wuppertaler Schau Werke Kandinskys aus dem „Sturm“.
In großer Dichte tummeln sich Spitzenwerke des Expressionismus, Futurismus, Kubismus und Konstruktivismus in den Räumen des Museums. Ob Marcs „Blaue Fohlen“ oder „Affenfries“, Mackes „Spaziergänger“ und „Zirkusszene“, Klees „Mondaufgang“, Campendonks mystische Tiere, Feiningers Dorfansichten oder Delaunays „Türme von Laon“ - wohin der Blick schweift, bleibt er an Meisterwerken hängen.
Ein ganzer Raum ist den ekstatischen Porträts des Wiener „Oberwildlings“ Oskar Kokoschka gewidmet. Als erster stellte Walden, der ein Faible für russische Kunst hatte, Chagall in Deutschland aus. Lyonel Feininger war so aufgeregt über sein Debüt im „Sturm“, dass er der Eröffnung des legendären „Ersten Deutschen Herbstsalons“ 1913 fernblieb.
Zugleich ist die Schau eine Wiederentdeckung lange in Vergessenheit geratener Künstlerinnen, die in der Zeit ohnehin einen schweren Stand hatten. Zum Beispiel die Belgierin Marthe Donas, Freundin des russischen Bildhauers Alexander Archipenko. Eine große Auswahl ihrer Werke hauptsächlich aus „Sturm“-Ausstellungen von 1920 bis 1924 rückt die kubistische Künstlerin wieder ins Blickfeld. Auch die niederländische Künstlerin Jacoba van Heemskerck und die mit 28 Jahren gestorbene Maria Uhden wurden von Walden besonders gefördert.
Überhaupt war Internationalität ein Markenzeichen des „Sturm“: Prager Kubisten, belgische und ungarische Konstruktivisten, italienische Futuristen - sie alle waren Gäste in der Galerie. „Besonders schwierig war es, genau die Bilder zu bekommen, die im "Sturm" ausgestellt waren“, sagt Museumsdirektor Gerhard Finckh. „Walden hatte ein untrügliches Gespür für die Künstler seiner Zeit.“ Nur an einen kam er nicht heran: Picasso. Der stand bei Waldens Konkurrenten Paul Cassirer und Alfred Flechtheim unter Vertrag.