Alles für die Musik: Singer-Songwriter Tiemo Hauer hat sich verändert
Stuttgart (dpa) - Urin klebt auf dem Boden, Plastiktüten flattern, die Rolltreppe zum Gleis: stillgelegt. Tiemo Hauer hat vorgeschlagen, in einer U-Bahnstation Fotos von ihm zu machen. Die Aufnahmen vorher im Sonnenlicht seien ungewohnt gewesen.
„Es ist schon lange her, dass Bilder von mir im Hellen gemacht wurden“, sagt er. Der Stuttgarter Sänger und Songwriter (26) hat sich verändert. Mit Balladen startete er vor fünf Jahren, doch seine Songs sind inzwischen ganz anders. Auf seiner nun fünften Platte ist nur die Offenheit in den Texten geblieben.
„Vernunft, Vernunft“ heißt das neue Album von Hauer, das Mitte Februar auf den Markt kam und mit dem er jetzt auf Tour geht. „Es ist hochspannend, denn da hat sich etwas entwickelt. Sowohl textlich als auch musikalisch“, sagt der Musikexperte Udo Dahmen, künstlerischer Direktor der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim. Nachdenklicher, weniger hedonistisch findet Dahmen die elf Songs im Vergleich zu den ersten Alben von Hauer.
Einige der Titel sind Rock, andere haben Elemente von Elektro und Blues, manches ist melancholischer Pop. Eine Mischung, die schon auf Hauers vierter Platte „Camílle“ (2014) begann. Texte und Musikgenre passen Dahmen zufolge zusammen. In dem Rocksong „Der kleine Tod“ singt Hauer über Sex, um Schmerz und intensive Gefühle dabei, wie er sagt. „Erinnerst du dich an das Brennen auf der Haut? / Wir waren zärtlich, waren grob, waren laut“, singt Hauer.
Mindestens 80 Prozent seiner Texte seien autobiografisch, sagt er. Sein Ziel: klar formulieren, aber Raum für Interpretation lassen. Der Hörer solle verstehen, aus welcher Emotion er die Lieder geschrieben habe, um dadurch die Gefühle spüren zu können. „Die Leute sollen sich verstanden fühlen und sagen, es gibt ihnen was.“
Hauer, Sohn eines Polizisten, ist seit seinem Abitur Musikprofi. Romantische und melancholische Balladen sang er damals, seine brave, blonde Lockenmähne wurde oft mit der von Sänger Tim Bendzko verglichen. 2010 bekam er ein Angebot von einem großen Label, Hauer nahm es an - und kündigte nach einer Single direkt wieder. Nun hat er ein eigenes Label in Stuttgart, produziert sich selbst, hat zwei Bands unter Vertrag.
Und seine Mähne ist kürzer geworden. In der Mitte schwappt sie noch über die Stirn, an den Seiten ist sie fast abgeschnitten, nach hinten gekämmt. Seine Kleidung: Sakko, Stoffhose, Lackschuhe. Alles schwarz.
„Ich sehe bei Tiemo eine krasse Entwicklung. Es ist ihm klarer, was für Musik er machen möchte, was er aussagen will und wo ihn das hinführt“, sagt sein Schlagzeuger, Tilman Ruetz, 24. Seit 2012 arbeiten die beiden zusammen. Über seine Lieder wisse Hauer alles, habe genau Vorstellungen, was rauskommen soll. „Er ist ein Beißer. Er beißt solange, bis die Songs da sind“, beschreibt Ruetz. Dabei höre er auch auf Vorschläge der Band, lasse Input und Varianten zu.
Etwas anderes als Musik macht Hauer kaum. Hobby und Beruf sei das eben, erzählt Hauer. Nicht mal zum Feiern gehen habe er noch Zeit oder um für einen Segelschein zu lernen, den er gerne machen würde.
Von seinem Privatleben erzählt Hauer ohnehin nur ungern. Nicht obwohl, sondern weil er über seine Gefühle, seinen Sex und wie in dem Lied „Glaub an mich“, über Unsicherheit singt. „Wenn man die Songs hört, kann man recht schnell rauslesen, was bei mir abläuft. Aber wenn ich neben der Musik zu viel erzähle, habe ich Angst, dass etwas kaputt geht“, sagt er.
Mit der Stuttgarter Musikszene, etwa den Hip-Hoppern Cro und den Fantastischen Vier, habe er nicht viel zu tun. Und er glaube auch nicht, dass Erfolg und Stadt zusammenhängen. Nicht mal Berlin? „Ich habe noch nie einen Grund gesehen, wegzugehen“. Seine Freunde und nach Hause zu kommen, das schätze er.