Alt-J : Wenn Akademiker Gefühle zeigen

Für ihr Debüt ließen sich die Briten von Alt-J vier Jahre Zeit. Der Lohn: Kritikerpreise und Vergleiche mit Radiohead. Unsere Band 2012.

Düsseldorf. Willkommen in der Akademie des Indie-Pop: Mit ihrem im Mai erschienenen Debütalbum „An Awesome Wave“ nötigten Alt-J die britischen Kritiker dazu, die Kategorie des „Schlaumeier-Rock“ zu erfinden.

Ursächlich dafür ist einerseits, dass sich die vier Bandmitglieder 2007 während ihres Studiums in Leeds kennenlernten. Andererseits, dass der Klang ihrer Songs so komplex ist, dass eine Einordnung schwerfällt. Als Einflüsse dienten Folk und Indie-Pop genauso wie Trip-Hop oder Post-Rock.

Die Studententage sind für Gwil Sainsbury, Joe Newman, Gus Unger-Hamilton und Thom Green mittlerweile vorbei; doch Alt-J hat Bestand und ist gereift. Durch einen Umzug nach Cambridge behielt man zudem den akademischen Anstrich der Band bei. Keyboarder Gus Unger-Hamilton studierte englische Literatur, während die übrigen drei Bandmitglieder Abschlüsse in Kunst vorzuweisen haben.

In der jüngeren Vergangenheit haben Bands wie Pulp oder Franz Ferdinand bewiesen, dass es nicht nur klanglich spannend zugehen muss, wenn Kunststudenten musizieren, sondern auch erfolgreich sein kann. Bei Alt-J wirken sich universitäre Bildung und Wissbegier positiv aus: Das Songwriting gleicht einer Versuchsanordnung. Perfektionismus ist die Zielvorgabe.

So findet sich auf „An Awesome Wave“ kein unreflektierter Ton, wurde nichts dem Zufall überlassen. Dass am Ende kein klinischer Laborbericht stand, ist die große Kunst des Albums. Alt-J umreißen ein breites Stimmungsspektrum. Und das oft in ein und demselben Song. Titel wie „Dissolve Me“ oder „Taro“ wandeln zwischen sanfter Euphorie und dramatischer Tragik.

Auch der Bandname ist eine Kopfgeburt: Die Tastenkombination „alt“ und „j“ steht für das in der Mathematik verwendete griechische Zeichen Delta.

Über vier Jahre verbrachte die Band mit der Produktion ihres Debüts. „Wir wollten nachher nicht wie Schwachköpfe aussehen. Deshalb haben wir uns eine Ewigkeit mit den Details beschäftigt“, verriet Sänger Joe Newman der britischen Zeitung „The Guardian“.

Die Reifezeit hat sich gelohnt. Das Album, das zwischenzeitlich bis in die Top 20 der britischen Charts kletterte, besitzt bei aller Vielschichtigkeit eine schlüssige Grundstimmung. Die melancholische Pop-Single „Tesselate“ schaffte es so bis in die Dauerrotation der britischen Radiostationen.

Der Erfolg entwickelte sich für die Band ebenso schrittweise. Erst 2011 unterschrieben die vier ihren Plattenvertrag, und die ersten Monate nach der Veröffentlichung im Mai 2012 blieb es medial ruhig. Was folgte, waren eindrucksvolle Auftritte bei wichtigen europäischen Festivals wie Reading, Bestival oder Pukkelpop und einige Touren im In- und Ausland.

Bei den Konzerten von Alt-J wachsen die Songs sogar noch über sich hinaus, entwickeln eine eigene Dynamik. Es wundert nicht, dass ihr Name trotz seiner Sperrigkeit nach dem Festivalsommer in vielen Köpfen verankert ist. Mit dem bedeutenden „Mercury Music Prize“ für das beste Album 2012 wuchs dann der Bekanntheitsgrad.

Es ist nicht falsch, sich die vier jungen Herren als diese Art von Menschen vorzustellen, die gerne allein in guten Restaurants sitzen und philosophische Bücher lesen. Im Interview mit dem Guardian lässt Gus Unger-Hamilton daher durchblicken, dass ihm die stetig steigende Beachtung nicht unbedingt gefällt: „Wir sind so weit gekommen, obwohl fast niemand etwas über uns wusste“, sagt er, und wehmütig schwingt die Erkenntnis mit, dass diese Zeit nun vorbei sein könnte.

Geht es nach der britischen Presse, dürfen sich Alt-J berechtigte Hoffnungen auf die Thronfolge von Radiohead machen. Doch das ist Zukunftsmusik. Als Zwischenziel darf man für 2012 festhalten: Alt-J sind eine der hoffnungsvollsten Entdeckungen des Musikjahres.

Termin: 22. Februar 2013, 20 Uhr, Köln, E-Werk