„Anna Bolena“-Premiere mit Netrebko und Garanca
Wien (dpa) - „La Netrebko“ und Elina Garanca gleichzeitig auf der Staatsopern-Bühne, da geraten die Opernfans in der „Welthauptstadt der Musik“ ganz aus dem Häuschen.
Dazu auch noch ein hoch romantischer Stoff: Ein mächtiger König, zwei schöne Frauen, eine Intrige und ein Todesurteil. Die Premiere von Gaetano Donizettis Oper „Anna Bolena“ ist seit Monaten ausverkauft, angeblich werden Karten auf dem Schwarzmarkt um bis zu 800 Euro angeboten, und die Medien überschlagen sich mit Vorberichten.
Dominique Meyer, seit September Direktor der Wiener Staatsoper, scheint von der ganzen Hysterie recht unbeeindruckt. In seinem Direktorenzimmer im ersten Stock mit Blick auf die Imperialbauten des ersten Wiener Bezirks spricht der Franzose leise und konzentriert über seine Erfahrungen aus dem ersten halben Jahr seiner Direktion und seine Pläne.
„Das Starprinzip stört mich nicht“, sagt der 55-jährige, der unter anderem die Pariser Oper und die Oper Lausanne leitete und auch lange als kulturpolitischer Berater für verschiedene französische Regierungen tätig war. „Im Gegenteil, es ist eine große Freude, alle diese Sänger auf der Bühne zu haben. Aber das heißt nicht, dass kein Platz für Nachwuchs da ist. Es geht darum, eine Balance herzustellen zwischen etablierten Sängern und Künstlern einer neuen Generation.“
Dabei hat er die „Premiere der Saison“, wie Österreichs Medien „Anna Bolena“ ankündigen, bewusst nicht an den Beginn seiner Direktion gesetzt. Die startete er für Wien überraschend mit einem Werk des 20. Jahrhunderts, Paul Hindemiths „Cardillac“. Damit setzte Meyer ein Zeichen: „Ich möchte eine Entwicklung des Repertoires in Richtung 20. Jahrhundert“, erklärt er.
Ein langfristiges Unternehmen im Haus am Ring. Schließlich wird Österreichs Renommierbühne gerade wegen ihres umfangreichen Repertoires von fast 50 Werken weltweit geschätzt. Die teils als historisch belächelten Inszenierungen stehen jedoch immer wieder in der Kritik. Meyer ist da diplomatisch: „Man kann es auch so betrachten: Wir bieten ein Kaleidoskop von verschiedenen Inszenierungen der vergangenen 50 Jahre“, schmunzelt er.
Allerdings hat er mit Neuinszenierungen der großen Klassiker auch nicht immer Glück. Für einen Da Ponte-Zyklus verpflichtete er den Regisseur Jean-Louis Martinoty, der Auftakt mit „Don Giovanni“ geriet zum Debakel. Doch da zeigt der leise Franzose seine andere Seite: „In meiner Jugend habe ich Rugby gespielt“, holt er aus, um sein Verhältnis zur Kritik zu beschreiben. „Die erste Lektion war: man muss die Entscheidung des Schiedsrichters akzeptieren wie schönes oder schlechtes Wetter.“
Neben einer sanften Erneuerung des Repertoires will er auch die Bedeutung der Musiker stärker in den Vordergrund rücken. „Das Orchester ist ein Wunder“, schwärmt er über die Wiener Philharmoniker, die dem Haus die Töne liefern. „Das ist auch etwas, das dieses Haus von den anderen Großen unterscheidet. Es gibt kein Orchester, das den Sängern so zuhört.“
Hier will er durchaus Symbiosen nutzen, etwa mit Gastspielen, bei denen das Orchester mit sinfonischen Werken als Ergänzung zu konzertanten Opern seine andere Seite zeigt: „Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst hat eine sehr gelungene Balance erreicht zwischen sinfonischem und Opernrepertoire“. Auch der Zusammenarbeit mit anderen Häusern ist er nicht abgeneigt: „Opernhäuser sind ja kein Spielzeug. Jede künstlerische Entscheidung ist an die wirtschaftliche Seite gebunden. In unserer Zeit sind Koproduktionen eine Verpflichtung.“
Als Direktor sind Meyer die glanzvollen Premierenabende natürlich wertvoll. Persönlich aber beeindrucken ihn oft stillere Augenblicke: „Schöne Momente ergeben sich oft auch in einer Probe. Manchmal sind es nur zwei Sekunden voll Spannung und Emotion - aber solche Momente erfüllen das Leben.“