Klassiker „Azzurro“ - Italiens inoffizielle Nationalhymne wird 50

Rom (dpa) - Der Song war immer mehr als bloß ein Hit. Für viele ist „Azzurro“ so eine Art inoffizielle Nationalhymne des Stiefelstaates, für andere einfach ein Stück Italien-Gefühl pur.

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50 Jahre ist es her, dass der Ohrwurm mit der so eingängigen Melodie, dem Marsch-Rhythmus und den dröhnenden Bläsern zum ersten Mal aus den Musikboxen tönte. Adriano Celentano sang darin von Tagträumen an einem Sommernachmittag in der Stadt und der Sehnsucht nach einer fernen Frau - und ließ Zuhörer nördlich der Alpen von einem sonnigen Land im Süden träumen.

Die Komposition stammt aus der Feder von Paolo Conte. „Ich habe dieses Lied nie vergessen. Es ist immer in meinem Herzen“, sagte dieser kürzlich vor Journalisten anlässlich des Jubiläums. Der 81-jährige Singer-Songwriter wird häufig als eine Art italienische Mischung aus Duke Ellington, Tom Waits und französischen Chansonniers bezeichnet.

Als er das Lied schrieb, mochte Conte es aber noch nicht selber singen. Er hatte dafür den damals schon als Pop-Rock-Star erfolgreichen Celentano im Blick. „Ich wusste, dass es ein Hit wird, wenn er es singt“, sagt Conte über seinen genau ein Jahr jüngeren Kollegen. Ein Freund Contes musste sich Celentano deshalb zwei Tage lang an die Fersen heften, bis er ihn überzeugen konnte, sich das Stück anzuhören. Conte behielt Recht - die Aufnahme kletterte in ihrem Erscheinungsjahr 1968 sofort an die Spitze der Charts.

Conte selbst trat erst in den 1980er Jahren regelmäßig mit „Azzurro“ auf, als er als Sänger erste Erfolge feierte. Es findet sich auch auf seinem 1985 erschienen Live-Album „Concerti“, neben anderen bekannten Conte-Stücken wie „Via con me“ („Komm mit mir“), „Una Giornate Al Mare“ (Ein Tag am Meer) oder „Sotto Le Stelle Del Jazz“ (Unter den Sternen des Jazz). Conte singt oft anspruchsvolle, jazzige Stücke, die nach dem mystischen Paris der 20er Jahre klingen. „Azzurro“ ist anders - fröhlich, mitreißend und ruft beim Hören sofort ein Bild von „Bella Italia“ hervor.

„Sie ist zum Strand gegangen, ich bin alleine hier in der Stadt. Über den Dächern höre ich ein Flugzeug vorbeizischen“, lautet ein Vers in „Azzurro“. Womöglich versteht nur ein Italiener die wahre Bedeutung der Zeilen - doch musste man nicht Italienisch können, um das Lied gut zu finden. Conte freut sich über seinen großen Erfolg auch in Deutschland. „Die Deutschen haben großen Respekt vor Musik, sie sind hungrig danach“, sagt er.

Auch auf Veranstaltungen wie dem Münchner Oktoberfest oder unter Fußballfans wird das Lied gefeiert. Als Deutschland 1990 die Fußballweltmeisterschaft in Italien gewann, interpretierten die Toten Hosen das Stück in einer Punk-Version neu. Auch die italienische Nationalmannschaft - als „Azzurri“ bekannt - gab nach ihrem Sieg bei der WM 2006 in Deutschland ein Cover des Liedes zum Besten. Und als der damalige italienische Ministerpräsident Matteo Renzi 2015 auf dem Weg zum deutschen G7-Gipfel in München aus dem Flugzeug stieg, empfingen ihn Musiker in Tracht mit „Azzurro“.

Trotz seines Ruhmes ist Conte eher zurückhaltend geblieben. Er ist ein Mann vom Land, stolz auf seine Heimat Asti, eine Weinregion südöstlich von Turin. Alles Moderne lehnt er entschieden ab. „Ich habe nicht einmal ein Handy“, sagt er. Seine Freizeit verbringe er zu Hause, fügt er hinzu, höre alten Jazz der 20er Jahre und schaue klassischen Konzerte oder Fußball.

Trotzdem - zum 50. Geburtstag von „Azzurro“ wagte sich der Sänger mit der Reibeisenstimme aus seiner Deckung: Mitte Juni gab Conte zwei ausverkaufte Open-Air-Konzerte mit großem Orchester in Rom. Vor der majestätischen Kulisse der antiken Caracalla-Thermen, umgeben von riesigen Kiefern und begleitet vom Kreischen der Möwen, hatte der Auftritt etwas Besonderes. Als das Orchester die ersten Takte von „Azzurro“ spielte, war eine Sternschnuppe am Himmel zu sehen. Conte, der sonst so routinierte Künstler, vergaß seinen Text. Das reichte aus für Begeisterungsstürme im Publikum.