Beethoven-Brief für Lübecker Brahms-Institut

Lübeck (dpa) - Das rote Siegel seines Briefs bricht Ludwig van Beethoven doch noch einmal auf, um ein weiteres, schwungvoll beschriebenes Blatt beizulegen. Dann schickt der kränkelnde Komponist das Schreiben nach Paris, um Geldgeber für seine gerade vollendete Missa solemnis zu finden, die er selbst für sein bedeutendstes Werk hält.

Das war im Juli 1823, vier Jahre vor Beethovens Tod. Nun, fast 180 Jahre später, liegt der dreiseitige Brief im Brahms-Institut in Lübeck. Er ist der spektakulärste Teil eines umfangreichen Nachlasses, den die Musikpädagogin Renate Wirth (1920-2011) dem Förderverein des Instituts vererbt hat.

„Das war für uns ein ganz großer Glücksfall“, sagt Prof. Wolfgang Sandberger, der Leiter des Brahms-Instituts an der Lübecker Musikhochschule. Es gab zwar schon eine Abschrift des Briefes. „Aber wo das Original war, war der Wissenschaft bislang unbekannt.“ Auf dem Markt würde die Handschrift, deren Authentizität Sandberger für absolut sicher hält, wohl 100 000 bis 150 000 Euro bringen, hat das Institut schätzen lassen.

„Die Aura einer Beethoven-Handschrift ist enorm“, sagt auch der Leiter des Museums im Beethoven-Haus Bonn, Michael Ladenburger. Allein ein Einkaufszettel mit sechs mageren Worten ist im vergangenen Jahr für 60 000 Euro über den Auktionstisch gegangen. „Es ist ganz wichtig, dass der Brief nun ausstellbar ist“, betont Ladenburger.

Nur mit Gummihandschuhen berührt Prof. Sandberger das vergilbte, brüchige Papier. Langsam, ganz vorsichtig klappt er den Bogen auf. Dort, wo Beethoven das Siegel brach, ist ein Loch, einzelne Worte hat der Komponist noch einmal nachgetragen. Die Schrift ist anfangs noch ordentlich, später wird sie impulsiver, der Strich dicker, mit großen Schwüngen und einer Reihe Korrekturen.

„Euer Wohlgeborn“, beginnt der schon taube Beethoven (1770-1827). Adressat ist Franz Anton Stockhausen, Komponist und Harfenist - und Urgroßvater von Renate Wirth, der Musikpädagogin aus Frankfurt. Stockhausen soll Beethoven helfen, Subskribenten zu finden - Menschen, die schon vorab das Notenmaterial der Messe kaufen.

Ganz glücklich ist der Komponist nicht darüber, dass er sich mit diesen geschäftlichen Dingen herumschlagen muss, aber er - einer der ersten freischaffenden Musiker überhaupt - ist dringend auf eine gute Vermarktung angewiesen: „...wie schwer fallen mir d(er) g(leichen) Speculation. allein mein geringer Gehalt meine Kränklichk.(eit) erfordern Anstrengung ein beßeres Looß zu erhalten“, heißt es in der Nachschrift.

Die Erziehung seines Neffen sei kostspielig, auch nach Beethovens Tod werde dieser Unterstützung nötig haben, schreibt der zu dem Zeitpunkt 53-jährige Komponist. Zum Abschluss ergänzt der schon damals bekannte Mann: „alle Briefe an mich brauchen gar nichts als "an L. v. Beethoven in Vien" wo ich alle richtig erhalte.“

Es ist ein offener, inhaltsreicher Brief. Für das Brahms-Institut, das nicht nur über Johannes Brahms selbst, sondern auch über Musiker aus seinem Umfeld forscht, hat er vor allem musikwissenschaftlichen Wert. „Er zeigt den Rang der Familie Stockhausen“, sagt Sandberger. Franz Antons Sohn, Julius Stockhausen (1826-1906), war Sänger und laut Sandberger die Schlüsselfigur zum deutschen Lied. Gemeinsam mit seinem Freund Johannes Brahms (1833-1897) führte er als erster Franz Schuberts Liederzyklen „Die Winterreise“ und „Die Schöne Müllerin“ komplett auf.

Der Nachlass, den die Familie über zwei Weltkriege rettete, enthält neben dem Brief eine Reihe anderer Kostbarkeiten, verpackt in mehr als 20 Archivkisten. Notenbibliotheken, Arbeitsexemplare, Konzertprogramme, handschriftliche Repertoirelisten des Joachim-Quartetts, dem wohl wichtigsten Quartett der Brahms-Zeit, Fotoalben und ein Elfenbein-Taktstock von Julius Stockhausen sind dabei. „Es ergibt sich sicher ein besonderes kulturhistorisches Panorama über Stockhausen“, sagt Sandberger.

Der Beethoven-Brief soll am 18. Januar der Öffentlichkeit im Brahms-Institut präsentiert werden, danach ist er bis zum 29. Januar im Museum des Instituts zu sehen.