Bill Ryder-Jones setzt auch als Songwriter Maßstäbe
Berlin (dpa) - Ein britischer Rockgitarrist, der seine Solokarriere mit einem ambitionierten Neoklassik-Album beginnt - das ließ schon aufhorchen. Jetzt beweist Bill Ryder-Jones, dass in ihm auch ein hochtalentierter Singer/Songwriter steckt.
„A Bad Wind Blows In My Heart“ (Domino) darf schon jetzt zu den besten englischen Gitarrenpop-Platten dieses Jahres gezählt werden. „Es ist ein sehr persönliches Album, über meine Kindheit“, sagte der 30-Jährige aus West Kirby bei Liverpool kürzlich dem Online-Magazin „Leither“. „Alle Songs bis auf eines behandeln Ereignisse aus dem wahren Leben.“ Der Mann hatte nach dem introvertierten Debüt „If...“ (dazu später mehr) also Mut, sich zu öffnen, obwohl er sich zunächst „als Sänger gar nicht wohlfühlte“.
Man merkt ihm diese Scheu vor dem eigenen Gesang auf „A Bad Wind“ freilich nicht mehr an. Ryder-Jones singt die elf ganz überwiegend balladesken Lieder mit melancholischer, leicht verhuschter, aber nie überforderter Baritonstimme im Stil eines Elliott Smith oder Nick Drake. Das Liverpooler Trio By The Sea - dessen erstes Album vom Ende vorigen Jahres unbedingt die Entdeckung lohnt - liefert den warmen, unaufdringlichen Hintergrund zu Ryder-Jones' Gesang und Gitarrenkünsten.
Der britische Folk des Säulenheiligen Nick Drake ist denn auch wichtigster stilistischer Bezugspunkt zu diesen mal reduzierten, mal schwelgerischen Songs. Hier und da setzen Orgel und die Geige von Laura McKinlay feine Tupfer, aber insgesamt hält sich der orchestrale Aufwand in Grenzen.
Das hörte sich auf dem Vorgänger noch ganz anders an: Ryder-Jones, der bis 2007 schon als Leadgitarrist für die Neo-Merseybeat-Band The Coral erlesene Streicherarrangements geschrieben hatte, widmete sein Solo-Debüt dem berühmten Roman „If on a winter's night a traveler“ von Italo Calvino und spielte seine fast komplett instrumentalen Skizzen mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra ein.
„If...“ war ein Wunderwerk an Zartheit und Versunkenheit und eine der großen Überraschungen des Jahres 2011 - auch wenn der perfektionistische Musiker heute laut Interview einige Passagen ändern würde. Man fragte sich damals, wie es für Ryder-Jones nach diesem Meisterstück weitergehen könnte; ob sein künstlerisches Schaffen künftig im Klassik-, im Soundtrack- oder doch eher im Rock/Pop-Fach zu finden sein würde. „A Bad Wind“ beantwortet diese Frage nun - fürs erste - eindrucksvoll. Für den oft so kritteligen „New Musical Express“ hat Ryder-Jones dem Singer/Songwriter-Genre damit „seinen guten Ruf zurückgegeben“.
Auf einem äußerst homogenen, knapp 50-minütigen Album ohne Schwächen oder Lückenfüller ragen der in zwei Variationen angebotene, hymnische Titelsong und die Piano/Gitarre-Kostbarkeit „He Took You In His Arms“ heraus. Eine von vielen Coral-Fans erhoffte Reunion der Band wird es nach diesem fantastischen Solo-Album wohl nicht mehr geben, daran ließ Ryder-Jones im „Leither“-Interview keinen Zweifel. Viel lieber würde er mit den drei Kumpels von By The Sea eine weitere Platte machen. Auch eine schöne Aussicht.