Das Philadelphia Orchestra tourt durch Deutschland
Dresden (dpa) - Auf ihren Chef lassen die Musiker des ehrwürdigen Philadelphia Orchestra nichts kommen. „Alle lieben ihn“, sagt der Erste Kontrabassist Harold „Hal“ Robinson über Yannick Nézet-Séguin.
Robinson spielt schon seit 20 Jahren in Philadelphia und hat drei Vorgänger des heutigen Music Director miterlebt: Wolfgang Sawallisch, Christoph Eschenbach und Charles Dutoit. Aber Yannick sei nun mal sein Lieblingsdirigent, sagt der Mann aus Texas: „Yannick ist eine einzige Freude für uns. Wir hatten eine Reihe von schwierigen Jahren. Seit er da ist, ist das musikalische Level wieder höher.“
Nézet-Séguin ist ein Shootingstar der Zunft. Schon mit zehn Jahren wollte der frühere Chorknabe Dirigent werden. Als er 2004 erstmals in Europa dirigierte, folgten schnell Einladungen bedeutender Orchester: Die Dresdner Staatskapelle, die Philharmoniker aus Berlin und Wien sowie andere Orchester holten den Youngster ans Pult. Mit dem Philadelphia Orchestra beendet Nézet-Séguin nun seine dritte Saison als Chef. Kritik und Kollegen sind voll des Lobes. Deshalb verwundert es nicht, dass der 40 Jahre alte Kanadier einer der Kandidaten für den Chefposten der Berliner Philharmoniker ist.
Wer der Chefetage des Philadelphia Orchestra die „Berlin-Frage“ stellt, wird schnell auf die Vertragslaufzeit von Nézet-Séguin verwiesen. „Er hat bei uns bis 2022 unterschrieben“, gibt sich Orchestermanager Ryan Fleur optimistisch. Natürlich weiß auch er, dass solche Laufzeiten wenig sagen, wenn es wirklich zur Sache geht. Doch daran mag in Philadelphia derzeit noch niemand denken. Die Planungen mit dem Kanadier laufen langfristig. Und wer das Orchester und seinen Dirigenten erlebt, zweifelt auch nicht an der Echtheit der Gefühle auf beiden Seiten.
Wie aus einem Guss präsentierten sich der Dirigent und seine Musiker, als sie am Sonntagabend bei den Dresdner Musikfestspielen den Klangreichtum des Orchesters bei Tschaikowskis 5. Sinfonie geradezu zelebrierten. Da reichten Blickkontakte und kaum wahrnehmbare Handbewegungen aus, um die Musiker in die gewünschte Richtung zu lenken. Und auch beim Klavierkonzert von Edvard Grieg mit dem jungen Solisten Jan Lisiecki beweis Nézet-Séguin sein ganzes Gespür für Balance. „Es ist auch erstaunlich, wie er uns inspiriert“, sagt Kontrabassist Robinson.
Leicht wird man Nézet-Séguin in Philadelphia wohl nicht ziehen lassen wollen. Hier gilt er als Retter, nachdem das Orchester in finanzielle Turbulenzen geraten war. „Unsere Zukunft ist gesichert“, sagt Manager Fleur erleichtert. „Manchmal ist der Honeymoon eines Orchesters mit einem Dirigenten schnell vorbei. Doch mit Yannick hält er an“, verrät Harold Robinson seine Stimmungslage. Diejenige des Maestro ist derweil noch unbekannt. Als er am Sonntag nach Standing Ovations und unzähligen Vorhängen die Bühne verlässt, kündigte er dem Publikum ein Wiedersehen in Berlin an: Gemeint ist freilich ein Gastkonzert des Philadelphia Orchestra an diesem Dienstag im Berliner Konzerthaus.